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Nomogramm: Rechner für bessere Therapieentscheidung bei Prostatakrebs

06. August 2020 | von Ingrid Müller

Prostatakrebs sofort behandeln oder erst beobachten? Diese Entscheidung ist knifflig für Ärzte. Britische Forscher entwickelten jetzt ein Nomogramm – einen kleinen Rechner zu Behandlungsentscheidung. Er funktioniert ähnlich wie eine App und soll die Beantwortung dieser Frage zukünftig erleichtern.

Bei Prostatakrebs gibt es verschiedenste Behandlungsmöglichkeiten. Welche Therapie Ärzte einem Mann vorschlagen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Eine Rolle spielen vor allem das Stadium, die Aggressivität und Ausbreitung des Prostatakrebses. Aber auch das Alter, vorhandene Grunderkrankungen, der allgemeine Gesundheitszustand oder die Wünsche und Überzeugungen eines Mannes fließen in die Therapieentscheidung mit ein.

Prinzipiell gibt es zwei verschiedene Strategien: Abwarten und den Prostatakrebs beobachten (aktive Überwachung oder engl. active surveillance) oder zeitnah eine Behandlung beginnen, etwa den Krebs operieren oder bestrahlen. Doch wie können Ärzte eine Entscheidung treffen, welche dieser beiden Vorgehensweisen für den Mann am besten ist? Und gibt es objektive Kriterien, die für oder gegen den Beginn einer Behandlung sprechen? „Die derzeitigen Methoden zur Entscheidung, ob eine sofortige Behandlung ratsam ist oder nicht, sind nicht sonderlich verlässlich“, findet Prof. Mieke Van Hemelrijck vom King‘s College London.

Die Forscher entwickelten daher ein Nomogramm – eine Art App – die genauere Rückschlüsse auf die Aggressivität des Prostatakrebses zulässt und die Therapieentscheidung erleichtern soll. Ihre Ergebnisse stellten sie – Corona bedingt – auf dem ersten virtuellen Kongress der European Association of Urology 2020 vor.

Aktive Überwachung

Lesen Sie, was eine aktive Überwachung bei Prostatakrebs ist, wie sie funktioniert und welche Vorteile sie bringt. 

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Arzt und Patient im Gespräch
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Therapieentscheidung: Prostatakrebs mit hohem oder niedrigem Risiko?

Die Wissenschaftler analysierten Daten aus der Datenbank zur aktiven Überwachung (active surveillance) bei Prostatakrebs des GAP3 Konsortiums – eine Initiative, welche die Movember Foundation im Jahr 2014 gegründet hat. Ihr Ziel ist es, die Behandlung von Prostatakrebs zu verbessern und Übertherapien zu vermeiden. Die Forscher arbeiteten mit den Datensätzen von 14.380 Prostatakrebspatienten aus der Movember Datenbank. Sie gilt weltweit als die größte Datensammlung.

Sie wollten herausfinden, welche Männer ein höheres Risiko besaßen, dass sich ihr Prostatakrebs weiterentwickelte. Zudem identifizierten sie jene Männer, bei denen sich die Behandlung des Prostatakrebses verschieben ließ, ohne dass dies ein Sicherheitsrisiko für sie bedeutet.

Im Beobachtungszeitraum von fünf Jahren blieben 57 Prozent der Männer bei der aktiven Überwachung. Die anderen brachen sie ab. Bei 28 Prozent gab es Anzeichen, dass der Prostatakrebs weiter wuchs. Bei 13 Prozent dagegen nicht und sie beendeten das Abwarten und Beobachten aus anderen Gründen.

 

Nomogramm: Rechner zur Therapieauswahl

In einem zweiten Schritte entwickelten Van Hemelrijck und ein Forscherteam des GAP3 Konsortiums einen Behandlungsrechner zur aktiven Überwachung, ein sogenanntes Nomogramm. Das ist ein kleines Programm, das sich mit einer App vergleichen lässt. Es dient als technisches „Werkzeug“, mit den Ärzte Voraussagen treffen können und die bei der Entscheidungsfindung für oder gegen eine Therapie helfen können. In einigen Ländern verwenden Ärzte Nomogramme schon heute bei Prostatakrebs. Was jedoch bislang fehlt, ist eine Version, die allgemeingültig, weltweit einsetzbar und bei jedem Mann anwendbar ist.

Ärzte fütterten den Rechner mit verschiedenen Daten der Männer und der bösartigen Prostatatumoren. Sie gaben zum Beispiel das Alter, genetische Risikofaktoren, die Größe und Beschaffenheit des Tumors, PSA-Werte, feingewebliche Charakteristika der Krebszellen aus der Biopsie oder die Zeit der aktiven Überwachung ein. So wollten sie herausfinden, ob das Verschieben der Behandlung eine Option für den Mann war.

„Wenig überraschend war, dass wir trotz all dieser Daten große Unterschiede in den Therapieergebnissen zwischen den teilnehmenden Zentren gefunden haben. Aber unsere Arbeit zeigt, dass wir ein Nomogramm erstellen können, das als Leitfaden und Begleiter für die Behandlung von Prostatakrebs dient“, erklärt Van Hemelrijck.

Aktive Überwachung

Lesen Sie, warum viele Männer die aktive Überwachung abbrechen und mit einer Behandlung beginnen.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Aktive Überwachung bei Prostatakrebs - Arzt mit Röntgenbild
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Weltweit gültiges Nomogramm für Prostatakrebs entwickeln

Ebenso wichtig sei es jedoch, dass zukünftig weitere Daten und Parameter in das Nomogramm aufgenommen würden. Nur so ließen sich die Unterschiede in den Behandlungsergebnissen beseitigen. Van Hemelrijck: „Unsere Analyse legt nahe, dass wir eine einzige, allgemeingültige Methode brauchen, die eine exakte Einschätzung zulässt, wie aggressiv bösartige Prostatatumoren wirklich sind. Dies fließt direkt in die Behandlungsentscheidung ein und vermittelt Männern jene Sicherheit und Beruhigung, die Sie brauchen, um sich für eine Behandlung zu entscheiden.“

Und Prof. Hendrik Van Poppel von der belgischen Universität Leuven kommentiert: „Wir sollten ein weltweit gültiges Nomogramm entwickeln. Ein System also, mit dem wir Vorhersagen treffen können, ob sich die aktive Überwachung für einen Mann eignet, der einen Prostatakrebs mit niedrigem oder mittlerem Risiko hat. Wir könnten den Männern so mehr Gewissheit geben, hätten diese aber selbst auch bei der Auswahl der Behandlung.“

 

Aktive Überwachung: Wer geht ein Risiko ein, wer nicht?

Prostatakrebs ist zwar eine häufige Todesursache bei Männern, aber nicht jeder Mann mit einem bösartigen Tumor in der Prostata befindet sich sofort in unmittelbarer Lebensgefahr. Einige Männer haben einen Prostatakrebs mit niedrigem Risiko. Das bedeutet, dass er weniger gefährlich ist, sich nur langsam weiterentwickelt und dem Mann womöglich zu Lebzeiten keinen Schaden zufügt.

In den letzten zehn Jahren haben Ärzte diesen Männern vermehrt die Möglichkeit der aktiven Überwachung vorgeschlagen statt sofort eine Therapie zu beginnen, etwa eine Prostatektomie oder Strahlentherapie. Bei der active surveillance beobachten und kontrollieren Ärzte den Prostatakrebs nur in engen Zeitabständen. Wichtig sind zum Beispiel die PSA-Werte, Biopsien und andere Tests. Erst wenn es Hinweise darauf gibt, dass der Prostatakrebs wächst, beginnt die Behandlung.

Die Anzahl der Männer, die sich einer aktiven Überwachung unterziehen, ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. In manchen Ländern schieben bis zu 80 Prozent der Männer zunächst eine Behandlung auf. Es gibt jedoch keinen allgemeingültigen Kriterien, anhand derer sich feststellen lässt, wer damit ein Risiko eingeht und wer nicht. So steigen laut Studien knapp 40 Prozent der Männer innerhalb von fünf Jahren aus der aktiven Überwachung aus und lassen ihren Prostatakrebs behandeln.

 

Therapieentscheidung ist oft subjektiv

Doch einige Therapien von Prostatakrebs können unangenehme Folgen haben, zum Beispiel eine Erektile Dysfunktion und Inkontinenz. Daher würde es von Männer einen Vorteil bedeuten, wenn sie eine Operation oder Bestrahlung umgehen können. „Eine Krebsdiagnose setzt viele Männer unter enormen Druck, einer Behandlung zuzustimmen. Daher ist es sehr wichtig zu verstehen, wie aggressiv ihr Prostatakrebs ist, bevor sie sich für eine Behandlung entscheiden. Derzeit können wir ihnen diese Sicherheit aber nicht geben“, so Van Hemelrijck.

Auch wenn die aktive Überwachung als Fortschritt beim Management von Prostatakrebs mit niedrigem Risiko gilt – es gibt es erstaunlich wenig Übereinstimmung darüber, welchem Mann sie tatsächlich Vorteile bringt. Ärzte ziehen eine Reihe von Faktoren heran, etwa PSA-Werte, feingewebliche Merkmale der Krebszellen aus der Biopsie und andere Charakteristika des Prostatakrebses. Aber die Empfehlung des Arztes, ob ein Mann eine Behandlung beginnen oder aufschieben sollte, ist nach wie vor oft subjektiv und nicht ausreichend verlässlich.

Quellen