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Prostatakrebs: Therapien schmälern Lebensqualität mehr als gedacht
03. September 2020 | von Ingrid MüllerErektile Dysfunktion, Inkontinenz, Fatigue – Krebstherapien lassen die Lebensqualität stärker leiden als Ärzte bislang geglaubt hatten.
Die Therapien bei Prostatakrebs sind für die meisten Männer kein Sonntagsspaziergang. Sie setzen nicht nur dem Körper und der Psyche zu, sondern dämpfen auch die Lebensqualität. Denn nach einer Operation oder Strahlentherapie haben viele mit unerfreulichen Nebenwirkungen wie Erektiler Dysfunktion und Inkontinenz zu kämpfen. Es sind jedoch weitaus mehr Männer und die Lebensfreude ist stärker im Keller, als Ärzte eigentlich angenommen hatten.
Zu diesem Schluss kommt die erste internationale Studie zur Lebensqualität von Männern mit Prostatakrebs der Vereinigung Europa Uomo. Sie gilt als bislang größte Untersuchung, bei der die erkrankten Männer selbst zu Wort kamen. André Deschamps, Vorsitzender der Europa Uomo, stellte die Ergebnisse auf dem – Corona bedingt – virtuellen 35. Kongress der European Association of Urology in Amsterdam vor.
"Jede Krebstherapie – mit Ausnahme der aktiven Überwachung – beeinflusst die Lebensqualität negativ, und zwar stärker als wir früher angenommen haben."
Autoren der EUPROMS-Studie
Lebensqualität messen – drei Fragebögen mit Selbstauskunft
In die Studie namens EUPROMS – ein Kürzel für Europa Uomo Patient Reported Outcomes Study – flossen die Daten von knapp 3.000 Männern aus 25 europäischen Ländern mit ein. Die Männer gaben in einem Fragenbogen selbst Auskunft über ihr Befinden, ihre Probleme und die Lebensqualität nach den Krebsbehandlungen. Im Schnitt waren die Krebsüberlebenden 70 Jahre alt, keiner war jünger als 45 Jahre. Ihre Krebsdiagnose erhielten sie durchschnittlich mit 64 Jahren. Sie beschrieben also zum Zeitpunkt der Befragung, wie gut ihre Lebensqualität etwa sechs Jahre nach dem Ende der Krebstherapien war.
Die Forscher setzten drei verschiedene, standardisierte Fragenbogen zur Lebensqualität ein:
- EPIC-26 (Expanded Prostate Cancer Index Composite): Der Fragebogen umfasst 26 Fragen, unter anderem zur Inkontinenz, Sexualität und Libido.
- EORTC-QLQ-C30: Patienten beantworten hier 30 Fragen. Anhand der Antworten lässt sich die Lebensqualität von Krebspatienten beurteilen. Im Fokus stehen zum Beispiel körperliche, kognitive und emotionale Funktionen, Symptome wie Schmerzen und Erschöpfung sowie der allgemein Gesundheitszustand und die Lebensqualität.
- EQ-5D-5L: Bei diesem Fragebogen stehen die Mobilität, die Fähigkeit zur Selbstversorgung und zur Ausübung allgemeinen Tätigkeiten, Schmerz und körperliche Beschwerden sowie Angst und Niedergeschlagenheit im Zentrum
Verlorene Sexualfunktion ist größtes Problem
Mehr als 50 Prozent der befragten Männer sagten, dass der Verlust der Sexualfunktion – einschließlich der Fähigkeit, eine Erektion und einen Orgasmus zu bekommen – ein großes (28 Prozent) oder mittleres (22 Prozent) für sie sei. Deschamps sagt: „Wir hören oft, dass die Abnahme der Sexualfunktion für Männer mit Prostatakrebs kaum eine Rolle spielt und dass wir den Einfluss sexueller Probleme auf die Lebensqualität nicht übertreiben sollten.“
Außerdem sei die Ansicht weit verbreitet, dass Prostatakrebs eine typische Erkrankung „alter Männer“ sei. Dies impliziere schon, dass der Einbußen bei der Sexualfunktion für die Männer nicht besonders wichtig sei. „Unsere Studie zeichnet aber ein anderen Bild“, so Deschamps. Auch andere Untersuchungen hatten herausgefunden, dass Männer mit Prostatakrebs sich zwar ein langes Leben wünschen, aber nicht um jeden Preis. In einer Studie gaben sie an, auf ein längeres Überleben zu verzichten, wenn im Gegenzug die Nebenwirkungen geringer ausfielen.
Experten-Interview |
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Lebensqualität: Therapien wirken sich verschieden aus
Die Männer berichteten außerdem, dass unterschiedliche Behandlungen die Lebensqualität auch verschieden beeinflussten:
- Harninkontinenz: Der radikalen Prostatektomie schrieben Männer die größte negative Wirkung auf die Kontinenz zu. Bei diesem operativen Eingriff entfernen Chirurgen die Prostata samt Krebs.
- Chronische Erschöpfung „Fatigue“: Die Strahlentherapie verdoppelte die Fatigue, die ein Mann erlebte. Die Chemotherapie – eine Behandlung mit Zellgiften (Zytostatika) – verdreifachte die Fatigue sogar.
- Sexualfunktion: Den Einfluss der Strahlentherapie auf die Sexualfunktion schätzen die Männer als schwerwiegender ein als nach einer Prostatektomie. Dennoch beeinflussten beide Behandlungen das Sexualleben massiv.
Deschamps: „Die Harninkontinenz und die verlorene Sexualfunktion waren die beiden Bereiche, für die Männer die wenigsten Punkte bei der Lebensqualität vergaben – und zwar viel weniger, als frühere Studien herausgefunden hatten.“ Die Ergebnisse unterschieden sich deutlich von jenen aus anderen klinischen Studien, in denen Forscher genau die gleichen zuverlässigen Fragebögen verwendet hätten. Dies bedeute jedoch nicht, dass die früheren Untersuchungen keine Gültigkeit hätten. Vielmehr müssten weitere Studien folgen.
Prostatakrebs: Je früher entdeckt, desto höher die Lebensqualität
Allgemein hatten Männer, deren Prostatakrebs früh und in einem heilbaren Stadium entdeckt wurde, die beste Lebensqualität – was nicht weiter verwunderlich ist. Denn die Krebsbehandlungen fallen schonender aus und die Aussicht auf Heilung dürfte bei den meisten wohl die Lebensfreude steigen lassen. Grund genug also für Männer, die Früherkennung für Prostatakrebs regelmäßig und rechtzeitig wahrzunehmen. „Wir müssen größere Anstrengungen bei der Krebsfrüherkennung unternehmen und mehr Bewusstsein dafür schaffen“, findet Deschamps. „Nur so können wir einen unnötigen Verlust der Lebensqualität vermeiden.“ Außerdem sollten Ärzte ihren Patienten zunächst eine aktive Überwachung vorschlagen – wann immer dies möglich sei und es keine Sicherheitsbedenken wegen der Rückfallgefahr gebe.
Die Studienergebnisse lieferten betroffenen Männern und Ärzten eine „Momentaufnahme, was Krebstherapien wirklich bedeuten“. Es gehe darum, realistische Erwartungen bei den verschiedenen Behandlungen und deren Einfluss auf die Lebensqualität zu entwickeln. „Die Nebenwirkungen sind mit dem Ende der Therapien nicht vorbei. Auch jene Männer, deren Krebs erfolgreich behandelt wurde, können danach weiter erhebliche Probleme haben.“
Lebensqualität: „Müssen den Männern zukünftig besser zuhören“
Prof. Arnulf Stenzl von der Universität Tübingen kommentiert die Studie so: „Das ist eine aussagekräftige Studie, und zudem die größte, die wir jemals unternommen haben“. Einen Knackpunkt sieht er jedoch. Auch wenn die neue Studie die gleichen, standardisierten Fragebögen genutzt hat – es gebe qualitative und quantitative Unterschiede zu den klinischen Studien, die Wissenschaftler normalerweise durchführen. Die aktuellen Ergebnisse seien also jenseits früherer Studienerkenntnisse zu lesen und zu interpretieren.
Die Studie habe jedoch einige Stärken, etwa dass sie viele Länder mit unterschiedlichen Gesundheitssystemen umfasse. Sie spiegle damit den Einfluss der Krebstherapien auf eine große Bandbreite von Patienten wider. „Für viele Männer kann die Lebensqualität nach den meisten Krebsbehandlungen sehr bescheiden sein, besonders wenn der Krebs schon fortgeschritten ist. Diese Botschaft ist klar, und wir müssen den Männern zukünftig besser zuhören“, so Stenzl.
Sexualfunktion soll mehr Gewicht bekommen
Mögliche sexuelle Probleme nach den Krebsbehandlungen sind auf der Prioritätenliste vieler Ärzte weit hinten angesiedelt. Am wichtigsten ist nach wie vor die Heilung des Prostatakrebses. Daran bemisst sich auch der Therapieerfolg. Dass sich an dieser Sichtweise etwas ändern müsste, findet auch der Urologe Dr. Jost von Hardenberg von der Universitätsmedizin Mannheim. „Der Erhalt der Sexualfunktion gehört heute aus meiner Sicht viel stärker in den Fokus des Beratungsgesprächs gerückt.“ Die wichtigste Voraussetzung sei es allerdings, dass das Tumorstadium und der Befund während der Operation dies auch zuließen.
Prof. Monique Roobol vom Erasmus University Medical Centre in Rotterdam, die die Datenanalyse durchgeführt hat, sagt: „Diese Studie ist wichtig, weil sie von Patienten initiiert und für Patienten gedacht ist.“ Die Fragebögen seien unabhängig von einem Besuch im Krankenhaus oder beim Arzt ausgefüllt worden. Dies bedeute, dass die Männer freier antworten konnten. „So erhalten wir über einen längeren Zeitraum Einblicke in die Auswirkungen der Krebsbehandlungen auf die Lebensqualität.“
Quellen:
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