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„Risikoadaptierter PSA-Test hat die größte Bedeutung“
18. November 2019 | von Ingrid MüllerViele Fachleute plädieren derzeit für einen risikoadaptierten PSA-Test statt ein flächendeckendes PSA-Screening für Männer. Was dahinter steckt und welche Vorteile dieser bietet, erklärt der Urologe Dr. Frank Schiefelbein im Interview.
Herr Dr. Schiefelbein, der PSA-Test kann die Sterblichkeit für Prostatakrebs um 21 Prozent verringern und das Risiko für Metastasen um 42 Prozent senken. Dies besagt die ERSPC-Studie. Gute Gründe also für ein PSA-Screening?
Der PSA-Wert ist derzeit unser empfindlichster Parameter zur Früherkennung von Prostatakrebs. Steigt der PSA-Wert bei Männern, die sich einer regelmäßigen Prostata-Vorsorge unterziehen, exponentiell an, ist dies ein Alarmzeichen. Dennoch müssen wir sehr differenziert mit dem PSA-Wert umgehen. Im Jahr 2009 wurden die amerikanische PLCO Studie und die europäische ERSPC Studie veröffentlicht. Beide konnten zunächst keinen oder nur einen sehr geringen Nutzen des PSA-Wertes nachweisen. In den USA empfahlen Experten den PSA-Test daraufhin nicht mehr routinemäßig und viele verzichteten auf eine PSA-gestützte Vorsorge.
In den folgenden Jahren stellten Ärzte jedoch Folgendes fest: Die Rate der Männer, bei denen der Prostatakrebs erst in einem späten, schon metastasierten Stadium diagnostiziert wurde, war dramatisch angestiegen. Eine anschließende Überprüfung der PLCO Studie ergab, dass sie fehlerhaft durchgeführt worden war. Bei der europäischen Studie, die Männer über einen längeren Zeitraum beobachtete, ließen sich einige Vorteile des PSA-Tests für bestimmte Untergruppen nachweisen. In den USA und in Europa wurde deshalb der Nutzen des PSA-Wertes für die Früherkennung von Prostatakrebs korrigiert und neu bewertet. Nun gibt es weitere Studien dazu.
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Routinemäßige PSA-Tests bergen auch einige Nachteile und Risiken. Welche?
Zunächst einmal gilt für alle Krebserkrankungen: Je früher Ärzte den Krebs erkennen, desto besser sind auch die Heilungschancen. Beim Prostatakrebs ist es aber nicht nur wichtig, die Diagnose frühzeitig zu stellen, sondern auch die Bösartigkeit und Aggressivität des Tumors individuell zu beurteilen. Denn der Prostatakrebs besitzt im Gegensatz zu anderen Krebserkrankungen die Besonderheit, dass er sehr unterschiedlich verlaufen kann.
Wir kennen wenig aggressive Verlaufsformen, bei denen der Krebs langsam wächst und erst spät Tochtergeschwülste bildet. Diese Tumoren, die Männern zu Lebzeiten vermutlich nicht gefährlich werden, finden wir ihm Rahmen der Krebsdiagnostik natürlich auch. Gerade bei Männern in höherem Lebensalter genügt es aber oft, diesen Prostatakrebs nur zu beobachten oder verzögert zu behandeln.
Andere Tumore sind dagegen sehr aggressiv. Und diese müssen wir sofort im Rahmen einer Operation entfernen oder bestrahlen, um Patienten vor einer Metastasierung des Krebses – und damit einer lebensbedrohlichen Situation zu bewahren. Wir müssen also bei der Diagnostik und Therapie immer das individuelle Risiko sorgfältig bewerten, um eine Überdiagnose und eine mögliche Übertherapie zu vermeiden.
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Einige Fachleute raten zu einem risikoadaptierten PSA-Test statt einem PSA-Screening für alle. Was ist das genau?
Das Wort „risikoadaptiert“ bedeutet, dass wir das individuelle Risikoprofil eines Mannes für Prostatakrebs ermitteln. Dem risikoadaptierten PSA-Test kommt derzeit die größte Bedeutung zu. Verschiedene Studien haben eindeutig nachgewiesen, dass ein erhöhter PSA-Ausgangswert im Alter von 40 oder 45 Jahren ein besonderes Risiko darstellt: Diese Männer entwickeln öfters und frühzeitiger einen aggressiven Prostatakrebs.
Ein weiterer eindeutiger Risikofaktor ist der gehäufte Prostatakrebs in der Familie. Hier spielen genetische Faktoren eine große Rolle: Ist schon der Vater und/oder Onkel oder Bruder an Prostatakrebs erkrankt, erhöht sich das Risiko eines nahen männlichen Angehörigen um das Zwei- bis Sechsfache. Und wenn die Mutter an Brustkrebs leidet, kann der Sohn ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs haben. Diese Risikofaktoren sollten wir bei jedem Mann erfragen und erheben.
Wie funktioniert ein risikoadaptierter PSA-Test in der Praxis?
Sinnvoll wäre es, bei jedem Mann im Alter von 40 bis 45 Jahren eine erste PSA-Kontrolle durchzuführen und das familiäre Risiko zu erfassen. Konkret sähe die Vorsorge dann so aus: Bei Männern, die einen niedrigen PSA-Ausgangswert im Alter von 40 oder 45 Jahren, kein familiäres Risiko und keinen auffälligen körperlichen Untersuchungsbefund haben, kann die nächste Kontrolle erst in fünf Jahren oder später notwendig sein. Anders ist es bei einem Mann mit erhöhtem familiären Risiko oder einem schon anfangs erhöhten PSA-Ausgangswert: Hier ist eine engmaschige Kontrolle beim Arzt wichtig.
Bei Männern über 70 Jahren ohne familiäres Risiko, mit unauffälligem körperlichen Untersuchungsbefund und einem niedrigen Verlauf des PSA-Wertes können wir zukünftig vielleicht sogar ganz auf weitere Vorsorgemaßnahmen verzichten. Die Vorsorgeintervalle sind also nicht für alle Männer gleich, sondern richten sich nach dem individuellen Risikoprofil. Das spart Kosten im Gesundheitswesen – und wir vermeiden Überdiagnosen und unnötige Therapien.
Welche Vor- und Nachteile hätte ein risikoadaptierter PSA-Test?
Vorteile kann ich Ihnen einige nennen. Zunächst können wir das Intervall der Prostatavorsorge bei den meisten Männern deutlich verlängern können. Sie müssten also nicht so häufig wie bisher empfohlen zur Krebsfrüherkennung zum Arzt. Und bei Männern ab 70 Jahren, die ein niedriges Risikoprofil haben, können wir die Vorsorge ganz vernachlässigen. Auch hier gilt: Wir senken Kosten im Gesundheitssystem und vermindern das Risiko für Überdiagnostik und Übertherapie.
Umgekehrt könnten wir Männer mit einem erhöhten Risikoprofil engmaschiger überwachen. Das trifft ungefähr auf jeden zehnten Mann zu. So ließe sich der Prostatakrebs wahrscheinlich zu einem höheren Prozentsatz rechtzeitig diagnostizieren und dann auch heilen. Die Männer könnten gesund in ihren Beruf zurückkehren. Zudem würde die Rate an metastasierter Erkrankungsstadien, die wir behandeln müssen, sinken. All dies würde Geld sparen – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass dies auch für die Männer von Vorteil wäre.
Der Gemeinsame Bundesausschuss lässt derzeit die Einführung eines flächendeckenden PSA-Tests prüfen. Die Krankenkassen übernehmen bislang die Kosten von 20 bis 40 Euro noch nicht. Ist das ein sinnvoller Weg?
Die meisten Fachleute empfehlen derzeit eine risikoadaptierte, PSA-gestützte Vorsorge. Wenn wir das individuelle Risiko für Prostatakrebs kritisch bewerten, könnten wir viele Männer vor den schlimmen Folgen der Erkrankung bewahren.
Welchen Stellenwert wird der PSA-Test zukünftig in der Diagnostik von Prostatakrebs haben?
Ich vermute, dass der PSA-Test auf absehbare Zeit seinen Stellenwert in der Diagnostik von Prostatakrebs behalten wird. Fachleute arbeiten allerdings daran, diesen PSA-Wert in Untergruppen einzuteilen, ihn somit zu verfeinern und seine Aussagekraft zu verbessern. In Zukunft werden Ärzte wahrscheinlich Männern mit erhöhtem erblichen Prostatakrebsrisiko verbesserte genetische Bluttests anbieten können. So ließe sich dann das individuelle Risiko noch besser abschätzen.
Wenn wir solche Risikogruppen für Prostatakrebs identifizieren, können wir zukünftig Überdiagnosen vermeiden. Gleichzeitig verbessern wir die Heilungsrate, indem wir die Diagnose Prostatakrebs frühzeitig stellen und die Behandlung rechtzeitig und stadiengerecht durchführen. Der PSA-Test wird also auch in Zukunft eine wichtige Untersuchung bleiben. Die Krankenkassen sollten ihn im Rahmen einer definierten risikoadaptierten Vorsorge bezahlen.
Das Interview führte Ingrid Müller.