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Reha bei Prostatakrebs: "Je früher, desto bessere Erfolge"

14. Februar 2021 | von Ingrid Müller

Die Rehabilitation spielt eine wichtige Rolle bei Prostatakrebs. Prof. Ullrich Otto von den Kliniken Hartenstein erklärt im Interview, warum die Reha ratsam ist, manche Männer zögerlich sind, wer sich um die Anträge kümmert und wann sie am besten beginnt. Interview von Ingrid Müller

 

Prostata Hilfe Deutschland: Portraitfoto von Professor Ullrich Otto, Ärztlicher Direktor des Urologischen Kompetenzzentrums für die Rehabilitation,  Kliniken Hartenstein, Bad Wildungen
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Herr Prof. Otto, es gibt gut- und bösartige Erkrankungen der Prostata – von Prostatavergrößerung bis Prostatakrebs. In welchen Fällen ist eine Reha ratsam?

Ich würde allen Männern mit einem Prostatakrebs zu einer Rehabilitationsmaßnahme raten, die operiert, bestrahlt oder hormonell behandelt wurden. Sie sollten diese unbedingt in Anspruch nehmen. Denn viele Patienten leiden nach einer Operation oder Bestrahlung unter Funktionsstörungen, die einer fachspezifischen, urologischen Rehabilitation bedürfen. Außerdem wissen wir aus eigener Erfahrung und aus der Literatur, dass die Konfrontation mit der Diagnose ‚Krebs‘ immer ein tiefer Einschnitt in die Biografie eines Menschen ist. Die Krankheitsverarbeitung ist deshalb auch ein wichtiges Ziel der Rehamaßnahme.

Auch bei einer gutartigen Erkrankung der Prostata kann die Rehabilitationsmaßnahme sinnvoll sein – nämlich, wenn ein Mann operiert wurde und danach unter Funktionsstörungen leidet. Sie ist vor allem wichtig, wenn er eine Inkontinenz oder eine sogenannte Drangsymptomatik entwickelt. Letzte bedeutet, dass der Harndrang plötzlich und in kurzen Zeitabständen einsetzt und mit einem Urinverlust verbunden sein kann. Solche Beschwerden können die Lebensqualität sehr negativ beeinträchtigen. Eine Rehabilitationsmaßnahme kann diese wiederherstellen.

Männer sind ja manchmal zögerlich, wenn es um medizinische Behandlungen und wochenlange Klinikaufenthalte geht. Ihrer Erfahrung nach – wie viele Männer entscheiden sich für eine Reha?

Im Schnitt nehmen ungefähr 50 Prozent der Männer, die sich wegen ihres Prostatakrebses einer radikalen Prostatektomie unterziehen mussten, eine Anschlussheilbehandlung wahr. Der prozentuale Anteil ist aber von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen ist sie zum Beispiel sehr viel höher als in anderen Bundesländern.

Der Grund?

Dort finanziert die Arbeitsgemeinschaft für Krebsbekämpfung, die „ARGE“, die Rehamaßnahme als Kostenträger. Die ARGE favorisiert fachspezifische, onkologische Rehabilitationsmaßnahmen für die einzelnen Krebsarten, um dadurch bessere Ergebnisse zur erzielen. Die funktionellen Defizite stehen besonders im Vordergrund der Rehabilitation.

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Die andere Hälfte der Männer verzichtet also auf die Reha – warum?

Ich glaube, dass die betroffenen Männer oft nicht ausreichend über die Inhalte einer Rehabilitationsmaßnahme und ihre Zielsetzungen informiert werden. Vermutlich haben sie auch zu wenige Informationen darüber, dass viele medizinische Studien die Wirksamkeit einer urologischen Rehamaßnahme schon sehr gut belegt haben. Diese Untersuchungen zeigen, dass sich bei Männern nach einer radikalen Prostatektomie tatsächlich sehr gute Ergebnisse erzielen lassen. Dies betrifft nicht nur die Funktionseinbußen – nämlich die Inkontinenz und Impotenz – sondern auch die Lebensqualität. Sie verbessert sich deutlich, sodass die Patienten wieder am normalen gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

Wer inmitten einer Prostatakrebsbehandlung steckt, hat meist keinen Kopf, um Anträge auszufüllen oder mit der Krankenkasse zu diskutieren. Wer unterstützt Männer bei der Organisation der Reha?

In aller Regel ist es so, dass der behandelnde Arzt dem Patienten eine Rehabilitationsmaßnahme empfiehlt. Er muss diese Empfehlung sogar aussprechen, denn dies ist eine Vorgabe in den S3-Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des Prostatakarzinoms. Es handelt sich um eine „Soll-Empfehlung“, also eine Vorgabe der Fachgesellschaften, die nahezu einen rechtsverbindlichen Charakter besitzt. Stimmt der Krebspatient der Anschlussheilbehandlung zu, organisieren die Sozialarbeiter der Akutklinik die Rehamaßnahme. Mit den üblichen bürokratischen Aufwänden wird der Mann also nicht behelligt.

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Manche Rehakliniken liegen idyllisch am Meer, Waldrand oder im Grünen, andere in einer Kleinstadt. Können sich Männer ihre Wunschklinik selbst aussuchen?

Ja, jeder Patient hat ein Wunsch- und Wahlrecht, das gesetzlich verankert ist. Im Paragraf 9 des Sozialgesetzbuchs ist dieses festgelegt. Jeder Patient darf also selbst entscheiden, in welche Klinik er sich begeben möchte.

Wann beginnen Männer am besten mit der Reha?

Im Grunde steckt der richtige Zeitpunkt schon im Namen ‚Anschlussheilbehandlung‘. Die Rehamaßahme findet direkt nach dem Abschluss der Ersttherapie statt, also nach der Operation oder Bestrahlung. Wenn ein Patient aus der Klinik entlassen wird, muss er die Reha innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens antreten, in der Regel innerhalb von zwei Wochen.

Würden Sie sagen, dass die Reha umso mehr Erfolg verspricht, je schneller ein Mann sie beginnt?

So ist es! Wer die Reha früh wahrnimmt, erzielt deutlich bessere Erfolge und Ergebnisse, als jemand, der sie später in Anspruch nimmt. Das haben wir auch durch Studien, die in unserer Klinik durchgeführt wurden, nachgewiesen. Die Kontinenz und Erektile Funktion lassen sich so schneller wiederherstellen. Außerdem vermindern psychoonkologische Gespräche die seelischen Belastungen und die Lebensqualität nimmt frühzeitig wieder zu.

Nicht jeder Mann bekommt nach einer Prostatakrebserkrankung sämtliche Behandlungen. Wer entscheidet, welche Therapien sinnvoll sind und legt sie fest?

Zu Beginn der Reha besprechen wir die Zielsetzungen der Maßnahmen gemeinsam mit unseren Patienten. Was wir erreichen wollen oder können, hängt natürlich auch vom Ausmaß der Krebserkrankung und von den individuellen Beschwerden ab. Wir orientieren uns dabei an den S3-Leitlinien zum Prostatakarzinom, die die Ziele schon vorgeben. Leitlinien haben einen nahezu juristischen verbindlichen Charakter, so dass wir Ärzte uns nach ihnen richten müssen. Wir dürfen die Maßnahmen also nicht einfach frei auswählen, wie manche Patienten vielleicht annehmen. Wir können jedoch individuell entscheiden, was uns als sinnvoll und notwendig für jeden einzelnen Patienten erscheint. Wenn wir von der Leitlinie abweichen oder sie nicht beachten, dann müssen wir dies gut begründen können.

Und wenn sich Männer selbst noch mehr oder andere Therapien wünschen, zum Beispiel Yoga, Ernährungsberatung oder Entspannungstraining – kommen die Krankenkassen auch für diese Kosten auf?

Wir haben einen Grundsatz, und der lautet: Wenn eine Behandlung medizinisch notwendig ist, dann müssen wir sie auch umsetzen. Allerdings hängt heute die persönliche Behandlung immer vom individuellen Krankheitsbild des Patienten ab. Somit gibt es einen gewissen Spielraum – innerhalb der medizinischen Vorgaben. Um Ihre Frage aber präzise zu beantworten: Entspannungstraining, Ernährungsberatung und eventuell auch Yoga spielen bei uns in der Rehabilitation eine wichtige Rolle.

Interview Teil 2: "Wiederherstellung der Kontinenz besitzt meist höchste Priorität"
Interview Teil 3: "Reha kann die seelische Verfassung verbessern"