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Prostatakrebs erkennen: Künstliche Intelligenz so gut wie Radiologen

24. Oktober 2019 | von Ingrid Müller

Künstliche Intelligenz kann Radiologen bei der Diagnostik von Prostatakrebs unterstützen. Die digitalen Assistenten schneiden ähnlich gut ab, wenn sie MRT-Bilder auswerten sollen. 

Die Künstliche Intelligenz (KI) ist in vielen Bereichen im Kommen, auch in der Medizin. KI soll Ärzten bei der Früherkennung von Krankheiten wie Alzheimer, Hautkrebs und Brustkrebs oder beim Austüfteln personalisierten Krebstherapien helfen. Doch kann Künstliche Intelligenz schon heute mit den Adleraugen von Radiologen bei der Diagnostik von Prostatakrebs mithalten? Ja, sagt ein Forscherteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Urologischen Universitätsklinik Heidelberg. Die Künstliche Intelligenz sei bei der Beurteilung von MRT-Bildern genauso gut wie Radiologen. Verdächtige Gewebebereiche, aus denen Ärzte anschließend eine Gewebeprobe (Biopsie) entnehmen würden, identifizierte die KI mit ähnlich hoher Sicherheit.

Künstliche Intelligenz

Lesen Sie, wie die KI Prostatakrebs sicher diagnostizieren kann.

Die Auswertung von MRT-Bildern der Prostata ist aufwändig, komplex und selbst für erfahrene Strahlenexperten mitunter eine knifflige Angelegenheit. „Es besteht daher dringender Bedarf, die Effizienz bei der Interpretation der Bilder zu steigern“, sagt David Bonekamp, Radiologe am Deutschen Krebsforschungszentrum. Die Künstliche Intelligenz sei jedoch kein Ersatz für den Arzt, sondern unterstütze ihn vielmehr bei seiner Arbeit.

"Prostatakrebs anhand von Künstlicher Intelligenz zu diagnostizieren, das ist ein kleiner Schritt in die Zukunft."

Anwar R. Padhani und Baris Turkbey, Editorial „Radiology“

 

MRT der Prostata – genauere Krebsdiagnostik ist möglich

In den letzten Jahren setzen Radiologen die Magnetresonanztomografie (MRT oder Kernspintomografie) immer häufiger ein, um Prostatakrebs zu diagnostizieren. Das Verfahren arbeitet mit starken Magnetfeldern und nimmt die Prostata sowie umliegende Regionen „scheibchenweise“ auf. Radiologen erhalten anschließend Schnittbilder, auf denen sie verdächtige Bereiche erkennen können. Aus diesen entnehmen sie Gewebeproben (Prostatabiopsie) und ein Pathologe analysiert die Zellen anschließend im Labor. Unter dem Mikroskop lassen sich gutartige Zellen von Krebszellen sehr genau unterscheiden. So lässt sich die Diagnose Prostatakrebs mit Sicherheit stellen.

Die Magnetresonanztomografie hilft Ärzten zudem, jene Patienten herauszufiltern, deren Prostatakrebs nicht klinisch bedeutsam ist. Dieser wächst nur langsam und würde den Männern voraussichtlich zu Lebzeiten keine Probleme bereiten. Ärzte müssen ihn daher nicht zwangsläufig (sofort) behandeln. Diese Männer können sich eine unnötige Biopsie und Behandlungen ersparen, die mit einigen Risiken und Nebenwirkungen verknüpft sind.

Was sind Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Deep Learning?

  • Künstliche Intelligenz heißt abgekürzt auch KI (engl. artificial intelligence oder AI). Die KI ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit der Automatisierung intelligenten Verhaltens und dem maschinellen Lernen beschäftigt. Künstliche Intelligenz setzt Methoden ein, durch die ein Computer Aufgaben lösen soll, die – wenn ein Mensch sie lösen würde – Intelligenz erfordern.
  • Deep Learning ist eine spezielle Methode der Informationsverarbeitung und ein Teilbereich des maschinellen Lernens. Es nutzt neuronale Netze (künstliche Neuronen), analysiert große Datenmengen (Big Data) und spürt wiederkehrende Muster auf. Die Lernmethoden orientieren sich an der Funktionsweise des menschlichen Gehirns. Auf der Basis vorhandener Informationen und des neuronalen Netzes kann das System das Erlernte immer wieder mit neuen Inhalten verknüpfen und dadurch erneut lernen. Das neuronal Netz gewinnt so die Fähigkeit, eigene Prognosen oder Entscheidungen zu treffen.

 

Radiologen und Künstliche Intelligenz sind etwa gleich gut

Mehrere Forscher vom DKFZ entwickelten das Verfahren, das auf einem künstlichen neuronalen Netzwerk basiert. Anhand unzähliger Bilder lernt die Künstliche Intelligenz, anhand welcher Kriterien sie verdächtige Veränderungen erkennen kann. „Deep Learning“ heißt dieses Vorgehen. Dieses Netzwerk trainierten die Forscher zunächst mit Hilfe von MRT-Aufnahmen von 250 Patienten. Anschließend überprüften die Forscher das fertige Modell in einer unabhängigen Gruppe von 62 Patienten. Die Bilder dieser Männer hatte die Künstliche Intelligenz während des Trainings noch nicht „gesehen“.

 

Die Ergebnisse:

  • Die KI erkannte klinisch auffälligen Prostatakrebs zu 92 Prozent. Die Radiologen schnitten dagegen etwas schlechter ab: Sie identifizierten den Prostatakrebs „nur“ bei 88 Prozent der Patienten.
  • Von jenen Männern, die tatsächlich krebsfrei waren oder deren Tumoren nicht als behandlungsbedürftig galten, identifizierte die Künstliche Intelligenz 47 Prozent korrekt. Hier hatten die Radiologen leicht die Nase vorn: Sie erkannten 50 Prozent dieser Männer. Die Unterschiede waren jedoch statistisch nicht signifikant.

 

Verdächtige Herde, welche die KI erkannt hatte, stimmten gut mit auffälligen Gewebeveränderungen überein, die auch die Radiologen gefunden hatten. Die Wahrscheinlichkeit für einen behandlungsbedürftigen Prostatakrebs stieg, wenn sowohl die Radiologen als auch die Künstliche Intelligenz einen Bereich gemeinsam als verdächtig eingestuft hatten. „Die Ergebnisse zeigen uns, dass die Künstliche Intelligenz für die klinische Diagnostik großes Potenzial bereithält“, sagt Bonekamp. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher ihr neuronales Netzwerk weiterentwickeln und an mehr Patienten testen.

Prostata-MRT: „Tumorwahrscheinlichkeitskarte“ des neuronalen Netzwerks (in Farbe)

 

Künstliche Intelligenz als „digitaler Assistent“ für Radiologen

Auch in anderen Ländern wie den USA tüfteln Forscher an der Künstlichen Intelligenz zur Diagnostik von Prostatakrebs. So entwickelten Wissenschaftler an der University of California ein künstliches neuronales Netzwerk namens FocalNet. Es hilft Ärzten dabei, Prostatakrebs zu identifizieren und seine Aggressivität anhand von MRT-Bildern vorherzusagen. Die Forscher trainierten den Algorithmus anhand von MRT-Bilder von mehr als 400 Männern mit Prostatakrebs.

Auch in dieser US-Studie waren die Künstliche Intelligenz und erfahrene Radiologen vergleichbar erfolgreich: In Test erzielte die KI 80,5 Prozent Genauigkeit beim Lesen der MRT-Aufnahmen. Die Radiologen mit mindestens zehnjähriger Erfahrung lagen zu 83,9 Prozent richtig bei der Interpretation der Bilder. KI könnte zukünftig Kosten sparen und weniger erfahrene Radiologen bei der Diagnostik unterstützen, hoffen die Autoren.

 

Schwarzer Hautkrebs: KI schlägt Dermatologen

Bei der Diagnostik von schwarzem Hautkrebs schnitt die Künstliche Intelligenz sogar schon besser ab als die Hautärzte. In einer Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg traten 157 Dermatologen aus zwölf Universitätskliniken in Deutschland gegen die Computer an. Den eigens entwickelten Algorithmus hatten die Wissenschaftler zuvor mit mehr als 12.000 anderen Bildern trainiert. Die Ärzte und der Algorithmus sollten auf 100 Bilder erkennen, ob es sich um ein Muttermal oder um schwarzen Hautkrebs handelte. Auf 20 Bilder war ein gesicherter schwarzer Hautkrebs (Melanom) zu sehen, auf 80 Aufnahmen gutartige Muttermale.

Nur sieben Dermatologen schnitten besser als der Algorithmus ab. 14 erzielten gleich gute Ergebnisse und 136 lieferten schlechtere Ergebnisse. Meist erwies sich die Künstliche Intelligenz als präziser bei der Beurteilung der Hauttumoren im Vergleich zu den Hautärzten. Dabei spielte es übrigens keine Rolle, welche Position und Erfahrung der Arzt hatte. Ob Assistenzärzte, Fach- und Oberärzte oder Chefarzt – die allermeisten waren der Künstlichen Intelligenz unterlegen.

Warum es künstliche Intelligenz eigentlich noch nicht gibt

"Das Problem mit den Prozessen maschinellen Lernens ist, dass sie im Grunde strohdoof sind. Die zugrunde liegenden Techniken stammen aus den 1980er-Jahren. Der Grund für ihren heutigen Erfolg liegt nur darin, dass wir heute größere Rechenkapazitäten haben und mehr Daten. Wir wollen aber wissen: Wie lässt sich zum einen das viele unsinnige Training vermeiden? Und vor allem: Wie können wir maschinelles Lernen flexibler machen?" Mehr dazu lesen Sie hier»»

Prof. Dr. Laurenz Wiskott, Lehrstuhl Theorie Neuronaler Systeme der Ruhr-Universität Bochum

Quellen