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Prostatakrebs: Ist die Tastuntersuchung zu ungenau?
29. März 2018 | von Ingrid MüllerDie Tastuntersuchung der Prostata soll Prostatakrebs frühzeitig aufspüren. Aber an ihrer Aussagekraft gibt es schon länger Zweifel. Eine kanadische Studie bestätigte jetzt, dass sie vermutlich zu ungenau ist für die Krebsfrüherkennung.
Die Tastuntersuchung der Prostata zählt in Deutschland bis heute zu den wichtigsten Früherkennungsuntersuchungen auf Prostatakrebs. Das gilt, obwohl deren Aussagekraft schon länger in Frage steht. Die sogenannte digitale rektale Untersuchung (DRU) ist dennoch Teil des Vorsorgeprogramms der gesetzlichen Krankenkassen. Deswegen übernehmen sie auch die Kosten für diese Untersuchungsmethode. Die Fachverbände empfehlen Männern die Tastuntersuchung der Prostata ebenfalls, allerdings nur in Kombination mit dem PSA-Test. Kanadische Forscher von der McMaster University in Hamilton, Ontario, bezweifeln jetzt aufgrund ihrer neuen Studie die Zuverlässigkeit der Tastuntersuchung: Die DRU sei nämlich zu wenig präzise beim Aufspüren von Prostatakrebs.
Als besonders problematisch sehen sie zudem die hohe Zahl an falsch-positiven Befunden an. Dann stellt sich die ertastete Auffälligkeit später als harmlos heraus – der Verdacht auf Prostatakrebs bewahrheitet sich demnach nicht. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler nun im Fachblatt Annals of Family Medicine.
Tastuntersuchung: Viele Männer haben doch keinen Prostatakrebs
Das Forscherteam um Leen Naji suchte in medizinischen Datenbanken nach Studien, die sich gezielt mit der Wirksamkeit der DRU beschäftigt hatten. Sie fanden mehr als 8.200 Studien. Darunter konnten sie jedoch nur sieben Untersuchungen ausmachen, die diesen Aspekt genauer beleuchtet hatten. An diesen hatten insgesamt 9.241 Männer teilgenommen. Alle männlichen Probanden hatten sich sowohl einer Tastuntersuchung der Prostata als auch einer Gewebeentnahme unterzogen, der Biopsie.
Die Daten aus diesen sieben Studien analysierten sie dann genauer. Im Blick hatten die Wissenschaftler vor allem die Empfindlichkeit, Genauigkeit sowie falsch-positive und falsch-negative Befunde der Tastuntersuchung. Falsch-positiv bedeutet, dass der Untersucher einen Prostatakrebs findet, der doch keiner ist. Die verdächtige Veränderung der Prostata stellt sich anschließend als gutartig heraus. Falsch-negativ heißt, das der Arzt einen tastächlich vorhandenen Prostatakrebs „übersieht“. Der Mann wiegt sich infolgedessen in falscher Sicherheit.
Die Ergebnisse ihrer Analyse stuften die Forscher als unter dem Strich ernüchternd ein. Erstens erkannten die Ärzte mittels Tastuntersuchung nur 51 Prozent der tatsächlich vorhandenen bösartigen Tumoren in der Prostata. Zweitens erfühlten die Untersucher bei 41 Prozent der Männer einen Prostatakrebs, der sich später durch die Biopsie nicht bestätigen ließ.
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Tastuntersuchung: weitere Gesundheitsprobleme kommen dazu
Diese hohe Zahl an falsch-positiven Befunden sei besonders problematisch, sagen die Autoren. So müssten sich Männer, die im Grunde genommen gesund seien, in der Folge einer Prostatabiopsie unterziehen. Und diese habe oft zusätzlich unangenehme Folgen: Sie ist zum Beispiel mit Schmerzen sowie Blut im Urin, Stuhl und Sperma verbunden. Dazu können Darmblutungen sowie bakteriellen Infektionen kommen.
Und in sehr seltenen Fällen können Ärzte sogar trotz Biopsie nicht sagen, ob ein Mann tatsächlich Prostatakrebs hat oder nicht. Dann unterziehen sich diese Männer womöglich einer Operation, obwohl sie überhaupt keinen Prostatakrebs haben. Nicht nur die Biopsie, sondern auch die Op kann weitere gesundheitliche Probleme nach sich ziehen. Sie reichen von Inkontinenz bis hin zur Erektilen Dysfunktion. Im Volksmund heißt sie vereinfacht gesagt Impotenz.
„Tastuntersuchung kein wirksames Instrument zur Früherkennung“
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat daher festgelegt, dass ein Screening nachweisbar wirksam sein muss. Darüber hinaus müssen die Vorteile deutlich die Nachteile überwiegen. „So wie es jedoch aussieht, treffen diese Kriterien nicht auf die digitale rektale Untersuchung zu“, stellen die Forscher im Gegensatz dazu fest. Es gebe zur Zeit keinen eindeutigen Nachweis, dass die Tastuntersuchung der Prostata ein wirksames Instrument zur Früherkennung von Prostatakrebs sei. „Wir empfehlen die digital-rektale Untersuchung deswegen nicht als routinemäßige Screening-Untersuchung auf Prostatakrebs“, lautet ihr Fazit. Somit ließen sich unnötige diagnostische Test, Überdiagnosen und Übertherapien vermeiden.
Tastuntersuchung wird zudem unterschiedlich gelehrt
Es gibt jedoch einige Faktoren, welche die Aussagekraft der Studienergebnisse einschränken könnten. Ein Beispiel ist die Tatsache, dass die Qualität der sieben analysierten Studien äußerst unterschiedlich war. Nebenbei gab es verschiedenste Definitionen davon, was genau eine auffällige digital-rektale Untersuchung ist. Auch die Durchführung der DRU sei nicht bei allen Ärzten einheitlich gewesen.
So hatte beispielsweise eine vorherige Untersuchung an kanadischen Kliniken ergeben, dass es bei den Lehrmethoden für Studenten zur DRU beträchtliche Unterschiede gab. Aber nicht nur das: Immerhin die Hälfte der Studenten hatte in ihrem Studium niemals ein Training zur DRU erhalten. Genauso gab es bei den kanadischen Hausärzten viele Unsicherheiten, was die Tastuntersuchung betraf. Dies brachte eine Umfrage ans Licht. Dieser zufolge war sich nur annähernd die Hälfte der Ärzte sicher, durch die Tastuntersuchung bösartige Veränderungen der Prostata aufspüren zu können.
Nutzen der Tastuntersuchung ist auf jeden Fall begrenzt
In Deutschland haben Männer ab 45 Jahren einmal jährlich Anspruch auf die Tastuntersuchung der Prostata. Deren Kosten tragen die Krankenkassen. Ein Urologe tastet dabei die Prostata mit dem Finger vom Enddarm her ab. Einen Teil der größeren Prostatakarzinome können Ärzte auf diese Weise ertasten. „Trotzdem ist der Nutzen der Tastuntersuchung begrenzt, weil sich kleinere oder ungünstig gelegene Tumore nicht aufspüren lassen“, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Urologie. „Die alleinige digitale rektale Untersuchung der Prostata reicht also als Früherkennungsuntersuchung nicht aus.“ Die Tastuntersuchung gelte deswegen nicht mehr als Standard. Stattdessen sei sie nur noch als Ergänzung angeraten. Auch in anderen Industrieländern stuften Krebsexperten die Tastuntersuchung inzwischen als zusätzliche Untersuchung ein.
Ebenso kritisch sieht die Tastuntersuchung der Prostata das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ). Mit dieser Methode ließen sich – wenn überhaupt – nur oberflächliche Tumoren erkennen. Diese hätten dann immerhin schon eine gewisse Größe erreicht. „Ein tastbarer Prostatakrebs befindet sich somit meist nicht mehr in einem Frühstadium“, schreibt das DKFZ. Darüber hinaus sinke die Treffsicherheit der Tastuntersuchung weiter, wenn die Tumoren auf jener Prostataseite wachsen, die dem Darm abgewandt sind. Diese Veränderungen sind auf jeden Fall erst dann zu erfühlen, wenn sie die Form und Größe der gesamten Prostata verändert haben. „Ferner ist das Untersuchungsergebnis stark von der Erfahrung und den Fähigkeiten des Untersuchers abhängig“, betonen die DKFZ-Autoren. Das deckt sich gleichwohl mit den Ergebnissen der kanadischen Studien und den Umfragen unter Ärzten.
Tastuntersuchung plus PSA-Test empfohlen
Trotz dieser Bedenken ist die Tastuntersuchung in Deutschland noch immer Teil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms. Kein Bestandteil der gesetzlichen Krebsfrüherkennung ist indes der PSA-Test. Über die Bestimmungs des PSA-Wertes bei gesunden Männern ohne Krebssymptome debattieren Ärzt übrigens genauso viel. Der Test kostet etwa 20 Euro und Männer müssen ihn selbst bezahlen. Für die Besprechung des Befundes mit dem Arzt sind zusätzlich ungefähr 20 Euro fällig. Die Bestimmung des PSA-Wertes ist demnach eine Individuelle Gesundheitsleitung (IGeL). Die DGU schreibt: „Die Kombination beider Untersuchungen wird empfohlen: Tastuntersuchung und den PSA-Test dazu!“ Zuvor sollten sich Männer allerdings immer gut über Nutzen und Risiken der Früherkennung auf Prostatakrebs informieren.
Quellen
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