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Fortgeschrittener Prostatakrebs und lokale Therapien – sexuelle Probleme und Inkontinenz nicht selten

01. Februar 2024 | von Ingrid Müller


Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs könnten von zusätzlichen örtlichen Therapien profitieren. Allerdings bringen sie Nebenwirkungen wie sexuelle Probleme und Inkontinenz mit sich. Und diese bleiben oft über viele Jahre bestehen, ergab eine US-Studie. 

Lokale Krebstherapien wie eine Strahlentherapie (Radiotherapie) oder Entfernung der Prostata (radikale Prostatektomie) kommen normalerweise bei örtlich begrenztem Prostatakrebs zum Einsatz.  Sie könnten jedoch auch Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs einen (meist geringen) Überlebensvorteil bringen. Dies lassen neue Studien vermuten. Derzeit sind bei einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom systemische Behandlungen der Standard, die nicht lokal, sondern im gesamten Körper wirken, etwa die Hormontherapie

Welche Nebenwirkungen bringen lokalen Krebsbehandlungen bei Männern mit einem fortgeschrittenen Prostatakarzinom mit sich? Das wollte eine US-Forschungsgruppe von der Washington University School of Medicine in St Louis wissen. In ihrer Studie fand sie heraus, dass sexuelle Probleme, Inkontinenz und Magen-Darm-Probleme im ersten Jahr nach der Behandlung keine Seltenheit waren. Und: Sie dauerten oft über einen längeren Zeitraum an. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden im Fachblatt JAMA Network Open.

Prostata-OP

Lesen Sie, wie die radikale Prostatektomie funktioniert und welche Nebenwirkungen sie haben kann.

Prostata Hilfe Deutschland: große Deckenlampe im Op
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Studie: 5.000 Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs

An der retrospektiven Kohortenstudie, die im Rückblick Daten von Studienteilnehmern analysierte, nahmen 5.502 US-Veteranen teil. Im Schnitt waren sie 68,7 Jahre alt. Alle hatten zwischen 1999 und 2013 die Diagnose „fortgeschrittener Prostatakrebs“ erhalten. Das Prostatakarzinom befanden sich im Stadium T4, es waren regionale Lymphknotenmetastasen (N1) und in manchen Fällen auch Fernmetastasen (M1) in anderen Organen und Geweben nachweisbar. Bei Prostatakrebs bilden sie sich oft in den Knochen. Alle Männer wurden bis zum Ende des Jahre 2021 beobachtet. 

1.705 Männer (31 Prozent) hatten sich einer lokalen Krebsbehandlung unterzogen – entweder einer radikalen Prostatektomie oder einer Bestrahlung oder beiden Behandlungen. Die anderen hatten eine systemische Behandlung erhalten, die im ganzen Körper wirkte (Hormontherapie, Chemotherapie oder beides).  Einige Männer hatten auch eine Kombination aus lokaler und systemischer Krebstherapie durchlaufen. 

Das Forschungsteam wollte wissen, welche Nebenwirkungen örtliche Krebstherapien bei fortgeschrittenem Prostatakrebs auslösen. Im Blick hatten sie Störungen der Magen-Darm-, Sexual- und Harnwegefunktion sowie Schmerzen. Festgehalten wurden die unerwünschten Wirkungen zu drei verschiedenen Zeitpunkten: innerhalb des ersten Jahres nach der Therapie, ein bis zwei Jahre später und zwei bis fünf Jahre danach. 

Sexuelle Probleme und Inkontinenz oft über längere Zeit

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Überblick:

  • Im Vergleich zu einer systemischen Therapie (beispielsweise Hormontherapie) hatten die Männer nach einer örtlichen Krebsbehandlung mit mehr Beschwerden zu kämpfen. 
  • Nach einer lokalen Therapie traten im ersten Jahr Magen-Darm-Störungen, Schmerzen, sexuelle Störungen (beispielsweise Erektile Dysfunktion) und Beschwerden des Harntrakts (meist Inkontinenz) häufiger auf als bei einer systemischen Therapie. 
  • Auch zwei bis fünf Jahre später hielten diese Nebenwirkungen der örtlichen Krebstherapien noch an – mit Ausnahme der Schmerzen. Diese hatten sich in beiden Gruppen angeglichen.
  • Die meisten Nebenwirkungen erlebten Männer, die sich sowohl einer lokalen als auch einer systemischen Krebstherapie unterzogen hatten. Die Beschwerden hielten bei ihnen mehr als zwei Jahre bis hin zu fünf Jahren nach dem Beginn der Behandlung an.
  • Die Häufigkeit der Nebenwirkungen war hoch – unabhängig von der gewählten Therapie. So berichteten 916 Männer (75,2 Prozent), die sich anfangs einer lokalen Krebstherapie unterzogen hatten, und 897 Männer (67,1 Prozent) mit einer anfangs systemischen Behandlung  von mindestens einer Nebenwirkung, die auch zwei bis fünf Jahre später noch bestand. 

„Patienten und Ärzte sollten diese Nebenwirkungen der lokalen Therapien unbedingt in Betracht ziehen, wenn sie bei einem fortgeschrittenen Prostatakrebs über die Behandlungen entscheiden“, schreiben die Autoren und Autorinnen der Studie. 

Lokale Therapien gelten allgemein als schonender im Vergleich zu systemischen Krebsbehandlungen wie einer Hormontherapie oder Chemotherapie.  Die Nebenwirkungen örtlicher Behandlungen können die Männer aber auch über einen längeren Zeitraum beeinträchtigen. Sie seien also nicht zu unterschätzen. Dagegen sei der Überlebensvorteil durch die lokalen Therapien eher gering, so das Forschungsteam.

Strahlentherapie

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Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Computertomografie
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Eingeschränkte Aussagekraft der Studie

Die Aussagekraft der Studie wird jedoch durch einige Faktoren eingeschränkt. So unterscheidet die Forschungsgruppe bei den lokalen Krebstherapien nicht zwischen der radikalen Prostatektomie und Strahlentherapie. Bekannt ist zum Beispiel, dass die Bestrahlung öfters Magen-Darm-Beschwerden hervorruft als die Prostata-OP.  Umgekehrt ist die Prostataentfernung häufiger mit einer Erektilen Dysfunktion und Inkontinenz verknüpft als die Bestrahlung.

Außerdem gibt es Studien, die zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen, etwa die sogenannte PEACE-1-Studie. Hier ließen sich bei Hoch-Risiko-Patienten lokale Komplikationen und Beschwerden durch eine örtliche Krebsbehandlung reduzieren. 

Örtliche Therapien bei fortgeschrittenem Prostatakrebs – was ist empfohlen?

Seit einigen Jahren versuchen Ärztinnen und Ärzte, bei Männern mit nur wenigen Metastasen (Oligometastasierung, griech. oligo=wenig) das Überleben weiter zu verbessern. Ein oligometastasierter Prostatakrebs bedeutet laut S3-Leitlinie „Prostatakrebs“, dass bei einem Mann höchsten vier Knochenmetastasen nachweisbar sind. Außerdem dürfen außerhalb der Knochen keine weiteren Metastasen in den inneren Organen (beispielsweise Leber, Lunge) vorhanden sein.  

Bei einer geringen Metastasierung könnten lokale Krebstherapien eine zusätzliche Behandlungsmöglichkeit sein. Allerdings ist ihr Stellenwert noch nicht klar und ihre Wirksamkeit nicht ausreichend in Studien nachgewiesen. Das gilt besonders für die radikale Prostatektomie, also die Prostataentfernung. 

Die aktuelle S3-Leitlinie „Prostatakrebs“ empfiehlt bei einer Oligometastasierung Folgendes:

  • Männer mit einem neu diagnostizierten, oligometastasierten Prostatakarzinom sollten - zusätzlich zur systemischen Therapie - eine Bestrahlung über die Haut (perkutane Strahlentherapie) erhalten.
  • Die Wirksamkeit der radikalen Prostatektomie ist noch nicht genügend belegt. Ärzte und Ärztinnen können einem Mann aber die Entfernung der Prostata unter bestimmten  Voraussetzungen anbieten: nach der Diskussion in einer interdisziplinären Tumorkonferenz (mehrere Fachrichtungen sind hier vertreten) und im Rahmen einer multimodalen Therapie, also einer Kombination mehrerer Behandlungen.

Quellen: