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Reha bei Prostatakrebs: „Die Zukunft positiv sehen und auch so gestalten“
04. August 2021 | von Ingrid MüllerFrank Hoffmann* ging nach seiner Prostatakrebserkrankung in die Reha. Im Interview erzählt er, wie es in der Reha-Klinik war, was ihm dort begegnete und wie er sich jetzt seine Kontinenz und sein Leben zurück erobert. Interview von Ingrid Müller
Herr Hoffmann*, Sie sind an Prostatakrebs erkrankt und haben schon eine Prostata-OP hinter sich. Davon haben Sie uns in zwei früheren Interviews erzählt. Jetzt stand Ihre Reha an. Wie haben Sie die richtige Reha-Klinik gefunden?
Das war eigentlich sehr einfach. Ich hatte mir diese Reha-Klinik ausgesucht, weil sie in meiner Nähe lag - nur ungefähr 70 Kilometer von meinem Zuhause entfernt. Und außerdem hat das Haus einen guten Ruf. Vorher habe ich mich natürlich im Internet informiert, was die Reha-Klinik genau anbietet, und mich auch sonst ein wenig umgehört. Es war so, dass das Krankenhaus die Reha-Maßnahme schon gleich nach der Prostata-OP mit mir besprochen, sie organisiert und direkt gebucht hat. Ich musste mich also nicht selbst um die Bürokratie und die ganzen Dokumente kümmern. Das war wirklich sehr angenehm, denn zu dieser Zeit hatte ich vieles andere im Kopf.
Manche Reha-Kliniken liegen malerisch im Grünen, andere an nicht ganz so idyllischen Orten. Wie war es bei Ihnen?
Also da kann ich mich wirklich nicht beschweren. Die Klinik war sehr weitläufig, mit viel Platz, einer wunderschönen Parklandschaft, modernen Gebäuden und netten, restaurierten Fachwerkbauten. Das ist doch eine schöne Mischung, um neue Kraft zu tanken. Ich habe mich dort jedenfalls gleich wohl gefühlt.
Reha und Nachsorge Lesen Sie, wie Sie die richtige Reha-Klinik finden und wie sich Inkontinenz und Erektile Dysfunktion behandeln lassen. |
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Wer waren Ihre Mitpatienten und -patientinnen in der Reha-Klinik?
In dieser Klinik waren ausschließlich Menschen mit Krebs zur Reha: Junge wie Ältere, Robuste und Gebrechlichere, Schlankere und Kräftigere, Menschen aus Deutschland und von überall aus der Welt. Besonders traurig hat mich das separate Gebäude auf dem Gelände gemacht, in dem Mütter mit ihren kleinen Kindern untergebracht waren. Sie absolvierten eine Reha nach ihrer Krebsbehandlung. Das hat mir nochmal deutlich vor Augen geführt, dass Krebs wirklich vor keinem Halt macht.
In der Reha-Klinik angekommen: Was kam dort medizinisch auf Sie zu?
Gleich am Anfang stand ein Corona-Test. Das leuchtete mir ein, denn in einer Klinik mit vielen Krebskranken kann man das Coronavirus natürlich auf keinen Fall brauchen. Alle Neuankömmlinge werden deshalb zunächst getestet. Dann das Einführungsgespräch mit dem Arzt, abermals Komplettuntersuchung und viele Papiere ausfüllen. Noch am gleichen Tag bekam ich den Aktivitätsplan für die gesamte Woche. So wusste ich gleich, was in den nächsten Tagen auf mich zukommt und konnte mich schon mal drauf einstellen.
Ein Schwerpunkt der Reha ist es, die Kontinenz nach einer Prostatektomie wiederherzustellen. Was stand bei Ihnen im Zentrum?
Klar ist, dass wohl die meisten Männer nach der Prostataoperation Probleme mit der Inkontinenz haben. Auch bei mir war das danach so. Dass man über das Wasserlassen keine vollständige Kontrolle mehr hat, empfinde ich als zutiefst unangenehm – das können Sie mir glauben. Meine Anwendungen konzentrierten sich daher auf Übungen zur Kontinenz und auf Bewegungstherapien.
Was haben Sie genau gelernt, um Ihre Kontinenz wieder zurückzuerobern?
Zunächst einmal bekamen wir einen theoretischen Unterbau und genauere Einblicke in die Anatomie von uns Männern. Diese ist ja nicht jedem Mann vollständig präsent. Die verschiedenen Vorträge dauerten höchstens eine halbe Stunde und waren sehr kurzweilig. Uns wurde zum Beispiel erklärt, dass die Prostata den Harnleiter unterhalb der Blase wie eine Manschette umschließt und somit der Druck der Blase auf den unteren Schließmuskel genommen wird. Aber durch das Entfernen der Prostata lastet jetzt mehr Druck auf diesem kleinen Muskel. Bei meiner OP konnten die Ärzte die Nervenbahnen zwar ganz oder teilweise erhalten, aber sie wurden dennoch verändert.
Deshalb gilt es, den Schließmuskel gezielt zu trainieren und zu stärken – dann sollte sich auch die Kontinenz wieder verbessern. Interessant war es auch zu hören, dass man nicht gleich jedem Harndrang folgen sollte. Die Blase muss sich durch die Füllmenge wieder dehnen und der Schließmuskel muss wiederum lernen, dem Druck Stand zu halten.
Ein Muskeltraining zeigt ganz allgemein nicht von heute auf morgen Wirkung.
Genau, man muss schon regelmäßig üben, dran bleiben und ein wenig Geduld mitbringen. Die Muskeln wachsen ja auch im Fitnessstudio nicht von einem Tag auf den anderen. Unser Trainer erklärte uns, dass es mit der Kontinenz in den ersten Wochen ein häufigeres Auf und Ab geben würde. Darauf habe ich mich eingestellt. Je nach Umfang der OP, Alter und Konstitution dauert die Regeneration des Schließmuskels zwischen sechs Wochen und sechs Monaten. Sie ist also keinesfalls nach der Reha abgeschlossen.
Inkontinenz nach der OP Lesen Sie, wie sich eine Inkontinenz behandeln lässt und wie ein Kontinenztraining helfen kann. |
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Das bedeutet, Sie müssen den Blasenschließmuskel zu Hause weiter trainieren.
Ja, man muss die Übungen zu Hause fortführen und kann sich nicht einfach auf die ‚faule Haut‘ legen, wenn sich die Inkontinenz dauerhaft bessern soll. Es gibt aber noch ein paar andere Empfehlungen, zum Beispiel nichts Schweres zu heben und zu tragen. Ein Arzt empfahl höchstens zehn Kilogramm Traggewicht, ein Therapeut dagegen maximal fünf Kilogramm. Ein wenig widersprüchlich also. Ich halte mich jetzt an die geringere Last, um auf der sicheren Seite zu sein. Man muss ja auch nicht unbedingt Zementsäcke schleppen in den ersten Wochen.
Wie stellen Ärzte eigentlich fest, ob sich die Kontinenz gebessert hat?
Sie protokollieren zu Beginn jeder Woche verschiedene Parameter und können so sehen, ob man Fortschritte gemacht hat oder nicht. Dazu vergleichen sie die Trinkmenge und Urinausscheidungen – einschließlich der benetzen Windelinhalte.
Interview zum Schließmuskeltraining |
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Die Inkontinenz lässt sich in der Zwischenzeit mit Windeln und Vorlagen kaschieren – damit tun sich viele Männer schwer. Sie auch?
Also da bin ich wirklich pragmatisch. Jetzt amüsieren Sie bloß nicht, aber ich habe Babywindeln getragen – aus einem einfachen Grund. Babywindeln sind mit einer speziellen Membran ausgerüstet, die atmungsaktiv ist. Erkennbar sind sie am Wörtchen ‚breathable‘, das auf der Packung steht. Viele Inkontinenzwindeln für Erwachsene sind dagegen nicht atmungsaktiv und werden als ‚non breathable‘ gefertigt.
Wenn Sie bei den sportlichen Rehamaßnahmen eine solche Hose tragen, dann schwimmen Sie auch ohne Urinverlust. Man schwitzt unter dieser Windel und es können sich wunde Stellen bilden. Das kennt man ja von älteren, bettlägerigen Menschen, bei denen die Windeln deutlich seltener gewechselt werden als bei Kleinkindern. Meine Reha-Klinik ist privat geführt und verwendet Gott sei Dank solche atmungsaktive Windelartikel.
Wann ist es mit Ihrer Kontinenz spürbar bergauf gegangen?
Schon nach einer Woche Rehamaßnahmen wurde meine Inkontinenz etwas besser. Ich weiß nicht, ob das auf die Therapien oder den natürlichen Heilungsprozess zurückzuführen war. Aber im Grunde ist es auch unerheblich, denn Hauptsache, der Urin läuft nicht mehr willkürlich in allen erdenklichen Situationen. Jedenfalls stellte ich ab diesem Zeitpunkt auf Vorlagen für Männer statt der Windelhosen um.
Nur einmal – wenige Tage vor der Entlassung – bekam ich Angst, weil plötzlich gar kein Urinabgang mehr möglich war. Ich trank einen halben Liter Wasser, dann kam der Urin, war aber mit Blut vermischt. Der Urologe erklärt mir, dies sei vier Wochen nach der OP völlig normal. Würde er eine kleine Kamera durch den Harnleiter bist zur Blasennahtstelle schieben, sehe der Bereich fransig aus wie nach einem Granateneinschlag. So hat er sich tatsächlich ausgedrückt. Verkrustete Wundränder würden abgetragen und daher könne es auch zu stärkere Blutungen kommen. Die Antwort beruhigte mich und kurz danach sah der Urin auch wieder normal aus.
Viele Ärzte sagen, dass das Wiedergewinnen der Kontinenz für die Männer höchste Priorität besitzt – und für Sie?
Das würde ich Ihnen über einen kleinen Umweg beantworten wollen: Uns wurden unter anderem die sechs Säulen der ‚Ordnungstherapie‘ vorgestellt. Da geht es um die grundsätzliche Frage: Wie will ich leben? Jeder von uns sollte sich darüber Gedanken machen, welche dieser Säulen er für den weiteren Aufbau seiner Gesundheit besonders wichtig findet. Da dachte ich mir: ‚Mensch Leute, ich wäre froh, wenn ich wieder dicht werde, mein Leben genießen und die vielen Plänen vor Corona und Prostata endlich verwirklichen könnte!‘
Manche Männer mit Prostatakrebs öffnen sich nicht gerne gegenüber Menschen, die sie nicht kennen. Haben Sie mit anderen Krebskranken über Ihren Krebs gesprochen?
Es ist ja so, dass man in der Reha nicht nur Programm, sondern auch ein bisschen Zeit hat. Ich habe mich ganz zwanglos mit anderen Patienten über die Krebserkrankung unterhalten. Und da habe ich sehr unterschiedliche Erlebnisse gehört. Die einen waren über ihre Krebsdiagnose sehr erschrocken und geschockt. Bei anderen wurde der Tumor erst sehr spät erkannt und er war schon weiter fortgeschritten als bei mir. Und wieder andere sind schon mehrmals an Krebs erkrankt und daher häufiger in der Reha-Klinik zu Gast.
Wichtig ist aber, dass man sich von den Gesprächen nicht verrückt machen lässt, seine Zukunft positiv sieht und sie auch so gestaltet. Insgesamt habe ich den Eindruck gewonnen, dass der Prostatakrebs unter allen Krebsarten noch zu den einfacheren Karzinomen gehört.
Gab es Menschen in der Reha-Klinik, deren Geschichte besonders in Ihrem Gedächtnis haften geblieben ist?
Ja, ich kam mit einer jungen Mutter mit einem sehr pfiffigen, rothaarigen Jungen ins Gespräch. Gerade mal fünf Jahre war er alt. Viele Monate zuvor wurde der Kleine ständig müde, bekam Hautausschläge und Fieberschübe. Aber der Hausarzt beruhigte und sagte, das sei bei Kindern ganz normal. Und dann kam der Zusammenbruch des Jungen, er musste sofort ins Krankenhaus und erhielt die Diagnose ‚Leukämie‘. Es folgten 17 Monate Krankenhausaufenthalt mit vielen Therapien. So eine Geschichte lässt wirklich niemanden kalt. In der Reha werden Mutter und Kind jetzt wieder aufgebaut. Der Rotschopf war quirlig, unermüdlich und hatte wohl sehr viel nachzuholen – ich hatte einfach Spaß, ihm zuzusehen. Das hat auch etwas mit Leben zu tun.
Die Besuche von Angehörigen sind in Corona-Zeiten sehr viel komplizierter geworden…
… aber nicht unmöglich! Meine Frau und Tochter haben mich so oft besucht, wie es mein Therapiezeitplan erlaubte. Die Corona-Maßnahmen ließen aber nur zu, dass wir uns draußen an der frischen Luft getroffen haben. Bei den vielen Menschen mit geschwächtem Immunsystem finde ich das absolut nachvollziehbar. Wir liefen in den Parkanlagen spazieren und manchmal fuhren wir mit dem Auto in die nähere Umgebung. Das tat mir richtig gut!
Was fanden Sie gut in der Reha - was haben Sie vermisst?
Positiv fand ich, dass in den Gesprächsrunden auch über das künftige Sexleben informiert und diskutiert wird. Denn auch nach der Prostataentfernung sind die meisten Männer nicht impotent. Es gibt Tabletten, Vakuumpumpen, Spritzen und Zäpfchen als Hilfsmittel. Wer hier gut informiert ist, kann zu Hause offen mit seiner Partnerin oder dem Partner diskutieren und ausprobieren, was für beide passt.
Ein Kritikpunkt wäre, dass sich der Fokus der Informationsgespräche mehr auf die Nachsorge hätte konzentrieren können. Denn wie sich unser Prostatakarzinom entwickelt hat, das hatten wir rund 30 Prostataoperierte ja schon mit der Operation für uns abgeschlossen.
“Hoffentlich haben Sie nichts gefunden!” |
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Sie erzählten, ein echter Wermutstropfen während der Reha sei für Sie das Essen gewesen.
Das stimmt. Ich bin immer wieder verwundert über die Menü-Angebote der Großküchen, die aus meiner Sicht teilweise sehr geschmacklos daher kommen. Das kann ich leider nicht anders sagen. Viele Köche – auch die in meiner Reha-Klinik – verstehen es gut, die natürlichen Aromen der Speisen regelrecht wegzukochen. Ob Fisch, Gemüse oder andere Lebensmittel – fast alles schmeckte ziemlich fad, ohne jeglichen Pfiff.
Für mich als ‚Genussesser‘, der lieber wenig, dafür aber besser isst, war das sehr wirklich enttäuschend. Es will mir nicht in den Kopf, dass die Klinikleitungen sich hier nicht mehr Mühe geben und gute Köche aussuchen. Das Essen spielt doch auch fürs Wohlbefinden und die Lebenskräfte eine wichtige Rolle. Und man kann auch fettarm kochen, aber so, dass es lecker ist.
Gab es denn gar nichts, was Ihnen geschmeckt hat?
Doch – das Sauerkraut und die Eintöpfe waren hier wirklich super.
* Name von der Redaktion geändert – unser Interviewpartner möchte anonym bleiben.