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Prostatakrebs – wie Darmbakterien die Wirksamkeit der Hormontherapie gefährden

21. Oktober 2021 | von Ingrid Müller

Die Bakterien der Darmflora könnten die Wirksamkeit der Hormontherapie bei Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs in Gefahr bringen. Wie die Mikroben dabei genau vorgehen, hat jetzt ein Forscherteam entschlüsselt. 

Die Hormontherapie kann Männern mit fortgeschrittenem Prostatakrebs wirksam helfen – zumindest eine Zeit lang. Denn irgendwann wirkt der Hormonentzug nicht mehr ausreichend, weil die Krebszellen unempfindlich werden und sich auch ohne das männliche Geschlechtshormon Testosteron weiter vermehren. Der Prostatakrebs wird „kastrationsresistent“. 

Ein Forscherteam aus Großbritannien und der Schweiz machte jetzt in einer Studie eine interessante Entdeckung: An der Entstehung dieser Hormonresistenz könnten ganz normale Darmbakterien beteiligt sein. Der Verdauungstrakt eines jeden Menschen beherbergt Trillionen dieser unsichtbaren Mitbewohner, die Forscher schon länger mit einigen anderen Krankheiten in Verbindung bringen, zum Beispiel Multiple Sklerose oder Alzheimer. Die winzigen Mikroben befeuerten das Wachstum des Prostatakrebses und trügen dazu bei, dass die Hormontherapie nicht mehr ausreichend wirke, so das Fazit der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im renommierten Fachmagazin Science.

Hormontherapie

Die Hormontherapie hilft bei hormonempfindlichen Prostatakrebs. Alles über die antihormonelle Behandlung.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Hormontheraphie - Spritzen
© Davizro Photography/Adobe Stock

 

Darmbakterien als kleine „Hormonfabriken“

Aber wie gelingt es den Darmbakterien genau, Einfluss auf die Hormontherapie zu nehmen? Indem sie selbst männliche Sexualhormone (Androgene) herstellen! Und niedrige Androgenspiegel, wie dies bei der Hormontherapie der Fall ist, begünstigten die Ausbreitung dieser Darmbakterien, sagen die Forschenden. Die Mikroben stellen den Krebszellen somit eine alternative Hormonquelle zu Verfügung, die sie für Ihr Wachstum und ihre Verbreitung nutzen können. Sie funktionieren also selbst als kleine „Hormonfabriken“, die den Krebszellen den Treibstoff für ihr Wachstum liefern. 

Prof. Johann Bono vom Institute of Cancer Research in London sagt: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Beginn der Hormontherapie einige Darmbakterien dazu bringt, selbst Androgene zu produzieren. Diese können wiederum das Wachstum des Prostatakrebses und die Resistenz gegenüber der Hormontherapie befeuern - das verschlechtert die Überlebenschancen der Männer.“

 

Was die Darmflora aus der Balance bringt

Das Forscherteam vom Londoner Institute of Cancer Research, vom Institute oft Oncology Research in Bellinzona, Schweiz, sowie vom Swiss Federal Institute of Technologie untersuchte die Rolle der Darmbakterien anhand von Mäusen und Stuhlproben von Männern mit Prostatakrebs. Sie wollten wissen, wie sich die Darmflora auf den hormonellen Stoffwechsel und damit auf Krebswachstum auswirkt. 

Die Zusammensetzung der Darmflora ist individuell einzigartig und bei keinem Menschen gleich. Doch das Mikrobiom – die Gesamtheit aller Bakterien - ist anfällig gegenüber verschiedensten Einflüssen. Die Darmflora kann ihre Zusammensetzung verändern und aus der Balance geraten. Bekannt ist, dass Krebs und andere Erkrankungen das empfindliche Gleichgewicht der Mikroorganismen im Darm stören können. Dann nehmen ungünstige Bakterienstämme überhand und breiten sich aus. Sie setzen zum Beispiel Gifte und andere Substanzen frei, die wiederum die Vermehrung von Krebszellen beeinflussen können. 

Darmflora

Wie sich eine Prostatakrebsbehandlung auf die "guten" Bakterien im Darm auswirkt, zeigt diese Studie. 

Prostata Hilfe Deutschland: Bakterien unter dem Mikroskop
© qimono/Pixabay.com

 

So spielen Darmbakterien bei Prostatakrebs mit

Das Forscherteam nutzte für die Untersuchungen Mäuse mit Prostatakrebs, bei denen sie den Großteil der Darmbakterien durch Antibiotika beseitigt hatten. Bei diesen Tieren wuchs der Tumor langsamer. Außerdem entwickelten die Nager nicht so schnell eine Resistenz gegenüber der Hormontherapie. 

Die Forscher fanden aber noch einen weiteren Effekt: Sie transplantierten Stuhlproben von Mäusen mit hormonresistentem Prostatakrebs auf Tiere, die niedrige Androgenspiegel, aber noch keine Hormonresistenz entwickelt hatten. Ergebnis: Das Tumorwachstum wurde angekurbelt. Sie konnten nachweisen, dass die Darmbakterien in der Lage waren, Androgene aus Vorläufersubstanzen herzustellen. 

 

Fingerabdrücke der Bakterien identifiziert

Die Erkenntnisse aus Tierversuchen sind jedoch nie nicht direkt auf Menschen übertragbar. Sie bezogen daher Männer in ihre Studie mit ein, deren Prostatakrebs mit einer Hormontherapie behandelt wurde. 19 dieser Männer sprachen immer noch auf die Hormonbehandlung an, bei weiteren 55 Männern war der Krebs schon unempfindlich gegenüber der Therapie geworden – er wuchs auch ohne Hormone weiter. Sie übertrugen Stuhlproben von Männern mit hormonresistentem Prostatakrebs auf Mäuse, deren Prostatatumoren noch nicht unempfindlich geworden waren – mit dem gleichen Ergebnis wie im reinen Tierversuch: Der Prostatakrebs wuchs.

Kastrationsresistenter Prostatakrebs

Lesen Sie, was ein kastrationsresistenter Prostatakrebs ist und welche Behandlungen helfen!

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Kastrationsresistenter Prostatakrebs - Mann mit Tabletten in der Hand
© sebra/Adobe Stock

Die Wissenschaftler nahmen jetzt die Darmflora der Männer genauer unter die Lupe und analysierten das Erbgut der Mikroben aus den Stuhlproben. Sie machten einige spezielle „Fingerabdrücke“ der Darmbakterien aus. Nachweisen ließ sich ein besonderes Bakterium: Ruminococcus gnavus. Dieses kugelige Bakterium ist ein Teil der natürlichen Darmflora des Menschen. Und es könnte eine Hauptrolle als „Übeltäter“ bei der Entwicklung der Hormonresistenz spielen, glaubt das Forscherteam. Männer mit diesen Mikroben neigten vielleicht stärker dazu, dass ihr Prostatakrebs unempfindlich gegenüber der Hormonbehandlung wird. Das Bakterium namens Prevotella stercorea war dagegen mit einem günstigen klinischen Verlauf der Tumorerkrankung verbunden. 

 

Joghurt mit „guten“ Bakterien gegen die Hormonresistenz?

Im nächsten Schritt wollen die Forscher einen Test entwickeln. Er solle jene Männer identifizieren, die von einer Stuhltransplantation, Antibiotika und anderen Maßnahmen profitieren könnten, mit denen sich das Mikrobiom verändern lässt. „Langfristig ist unsere Vision die Herstellung eines Joghurts, der mit ‚guten‘, gesundheitsfördernden Bakterien angereichert ist – und dass wir so die Entwicklung der Hormonresistenz verhindern können“, erklärt Bono.

Prof. Kristian Helin vom Institute of Cancer Research fügt hinzu: „Der Einfluss des Mikrobioms auf eine Krebserkrankung ist ein neues Gebiet in der Wissenschaft, das wir gerade erst zu verstehen beginnen. Wir haben erstmals einen Mechanismus enthüllt, durch den die Darmbakterien das Wachstum des Prostatakrebses befeuern und die Resistenz gegenüber der Hormontherapie fördern können. Wenn wir das Mikrobiom verändern, könnte das für betroffene Männer einen entscheidenden Unterschied bedeuten.“

Quellen: