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Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan (Pluvicto®): Neues Medikament gegen fortgeschrittenen Prostatakrebs

14. Dezember 2022 | von Ingrid Müller

Für Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs wurde in Deutschland ein neues Medikament zugelassen: Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan (Pluvicto®). Alle Fakten zu Wirkung, Anwendung, Nebenwirkungen und Wirksamkeit. Außerdem: Tipps für Männer während und nach der Therapie mit dem radioaktiven Medikament.

Kurzübersicht:

  • Was ist Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan? Pluvicto ist ein neues radioaktives Medikament, das sich an ein besonderes Eiweiß auf Krebszellen bindet, das PSMA
  • Wirkung: Die Radioligandentherapie attackiert Krebszellen von innen heraus und tötet sie ab
  • Für wen? Männer miit fortgeschrittenem Prostatakrebs (metastasiert, kastrationsresistent, PSMA-positiv), die schon eine Hormontherapie oder Chemotherapie absolviert haben
  • Wie und wie oft wird Pluvicto angewendet? Als Injektion oder Infusion, alle sechs Wochen, bis zu sechsmal
  • Nebenwirkungen: zum Beispiel Müdigkeit, Schwäche, blasse Haut, Mundtrockenheit, Übelkeit, Erbrechen, Störungen der Blutbildung, Nieren- und Leberfunktion
  • Was bei der Anwendung beachten? Viel Flüssigkeit zu sich nehmen und häufig zur Toilette gehen, Abstand halten zu Familienmitgliedern, oft duschen, Abfälle richtig entsorgen
  • Wechselwirkungen mit anderen Medikamente: bisher keine bekannt
  • Wirksamkeit: Verbessertes Gesamtüberleben der Männer

Redaktion transparent: Warum nennen wir den Handelsnamen Pluvicto?

  • Der Wirkstoff heißt “Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan” – ein komplizierter Name, der für viele Laien unverständlich und kaum zu merken sein dürfte.
  • Ärzte und Ärztinnen nennen ein Medikament in der Regel “beim Namen”.
  • Bei der Suche nach der neuen Therapie sollten Männer und andere Interessierte auch fündig werden und Informationen über ihre Behandlung nachlesen können.

Was ist Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan?

Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan ist ein neues radioaktives Medikament für Männer mit fortgeschrittenem, metastasiertem und kastrationsresistentem Prostatakrebs. Kastrationsresistent bedeutet, dass der Krebs nicht mehr ausreichend auf die Hormontherapie anspricht. Männer müssen vorher schon eine Hormontherapie oder Chemotherapie erhalten haben. 

Eine weitere Voraussetzung ist, dass der Prostatakrebs PSMA-positiv ist. Auf den Prostatakrebszellen muss das Eiweiß namens prostataspezifische Membranprotein (PSMA) vorhanden sein. PSMA kommt auf der Mehrzahl der Prostatakrebszellen vor, im übrigen Körper dagegen so gut wie nicht. Daher können Ärztinnen und Ärzte das PSMA gezielt als Angriffspunkt für die Krebstherapie nutzen.  

Der Handelsname von Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan lautet Pluvicto®. Ein anderer Name ist Lutetium-177-PSMA-617, das vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Zusammenarbeit mit dem Klinikum und der Universität in Heidelberg entwickelt wurde. Seit 2022 ist das Arzneimittel in den USA zugelassen, jetzt auch in Deutschland. Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA hat dem Medikament am 13. Dezember 2022 die Zulassung für Europa erteilt, und damit auch für Deutschland.

Lutetium-177 PSMA-617

Lesen Sie, was Lutetium-177 PSMA-617 ist und wie es Prostatakrebs in Schach hält.

Prostata Hilfe Deutschland: Krebszellen in Blau mit violetten Eiweißstrukturen auf der Oberfläche
Design Cells/Adobe Stock

Wie wirkt Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan?

Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan ist sogenannter Radioligand. Daher heißt diese Krebsbehandlung auch Radioligandentherapie. Der Name stammt daher, dass das radioaktive Lutetium-177 (ein Radionuklid) an eine weitere Substanz – das Vipivotid-Tetraxetan als Liganden – gekoppelt wird. Und diese bindet sich wiederum ganz gezielt und spezifisch an das PSMA auf den Prostatakrebszellen. Die bösartigen Zellen nehmen den Wirkstoff ins Zellinnere auf. Er gibt dann von innen heraus seine radioaktive Strahlung ab. Diese schädigt das Krebsgewebe und lässt die Krebszellen absterben.  

Für welchen Mann eignet sich das radioaktive Medikament?

Die Radioligandentherapie Pluvicto ist eine neue Therapiemöglichkeit für Männer, deren Prostatakarzinom diese Bedingungen erfüllt:

  • Metastasiert – es sind Krebsabsiedelungen in anderen Organen und Geweben nachweisbar
  • Kastrationsresistent – die Hormontherapie wirkt nicht mehr ausreichend
  • PSMA-positiv – auf den Zellen lässt sich das prostataspezifische Membranantigen nachweisen

Männer müssen bereits eine Hormontherapie oder eine Chemotherapie mit Taxanen durchlaufen haben. In weiteren Studien wollen Forschende aber auch prüfen, ob sich diese Radioligandentherapie  für Männer mit früherem Prostatakrebs eignet.

Um Männer zu identifizieren, für die eine Behandlung mit Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan in Frage kommt, setzen Ärztinnen und Ärzte meist den Wirkstoff Gallium (68Ga) Gozetotid ein. Dieses bindet – wie Pluvicto – an PSMA. In einem anschließenden PSMA-PET-CT (Positronenemissionstomografie in Kombination mit einer Computertomografie) lässt sich dies überprüfen. 

PSMA

Alles über das Eiweiß PSMA in der Diagnostik und Behandlung von Prostatakrebs.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Eiweiß PSMA und radiaktiver Strahler
© doctor-a/Pixabay.com

Radioligandentherapie: Wie, wie oft und in welcher Dosierung?

Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan ist eine klare, farblose bis schwach gelbliche Lösung. Nuklearmediziner und Nuklearmedizinerinnen verabreichen sie als Injektion oder Infusion über die Vene (intravenös). Empfohlen ist die Anwendung alle sechs Wochen. Insgesamt lassen sich bis zu sechs Dosen verabreichen. Wenn der Prostatakrebs fortschreitet oder Nebenwirkungen auftreten, die nicht tolerierbar sind, passen Ärztinnen und Ärzte die Dosis an. 

Welche Nebenwirkungen kann Pluvicto haben?

Die Behandlung mit Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan kann einige Nebenwirkungen hervorrufen. Die wichtigsten sind:

  • Müdigkeit, Schwäche
  • Blasse Haut 
  • Kurzatmigkeit 
  • Mundtrockenheit
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Verstopfung, Durchfall
  • Bauchschmerzen, Unterleibsschmerzen
  • Verminderter Appetit, Gewichtsverlust
  • Störungen der Blutbildung im Knochenmark: Blutarmut (Anämie), verminderte Anzahl an Blutplättchen (Thrombozytopenie), Leukozyten (Leukopenie) und neutrophilen Granulozyten (bestimmte weiße Blutkörperchen = Neutropenie)
  • Harnwegsinfektion
  • Akutes Nierenversagen

Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan ist eine radioaktive Substanz. Eine langfristige Behandlung mit dem Wirkstoff kann das Krebsrisiko erhöhen. Wichtig ist es daher, die Männer über Vorsichtsmaßnahmen aufzuklären. Sie sollte weitere Strahlungsquellen, etwa im Rahmen anderer Krebstherapien, vermeiden. 

Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan wirkt zudem potenziell embryotoxisch – das heißt, es kann Embryonen schädigen. Zudem birgt die Radioligandentherapie das Risiko von zeitweiser oder dauerhafter Unfruchtbarkeit (Infertilität). Es gibt aber die Möglichkeit der Kryokonservierung, bei der sich Samenzellen vor der Behandlung entnehmen und einfrieren lassen. 

Außerdem müssen Ärztinnen und Ärzte regelmäßige Blutbilder anfertigen und die Nierenwerte sowie die Leberwerte kontrollieren, um Störungen der Blutbildung, ein akutes Nierenversagen und Störungen der Leberfunktion rechtzeitig zu erkennen. Eventuell müssen sie die Therapie anpassen oder absetzen. 

Jeder Mann, der sich mit Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan behandeln lässt, muss gut über die womöglich auftretenden Nebenwirkungen und Symptome informiert sein. Im Notfall gilt es, rasch zu handeln und sofort einen Arzt oder eine Ärztin aufzusuchen. 

Lutetium-177

Eine Studie ergab, dass die Bestrahlung mit Lu-177 bei metastasiertem Prostatakrebs gut wirkt.

Prostata Hilfe Deutschland: Bestrahlung von metastasierter Prostatakrebs
Dr. Microbe/Pixabay

Was ist vor und nach der Anwendung von Pluvicto zu beachten?

Männer sollten vor und nach der Anwendung von Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan ihre Trinkmenge deutlich erhöhen und so oft wie möglich ihre Blase entleeren. Dies vermindert die Strahlenbelastung im Urogenitaltrakt.

Außerdem sollten sie mindestens:

  • zwei Tage nach der Anwendung von Pluvicto viel Wasser trinken und so häufig wie möglich urinieren – auf diese Weise spülen Sie das radioaktive Arzneimittel aus dem Körper aus.
  • zwei Tage keinen engen Kontakt (weniger als einen Meter) zu Menschen haben, die im eigenen Haushalt leben
  • sieben Tage engen Kontakt zu Kindern und Schwangeren vermeiden
  • sieben Tage auf sexuelle Aktivitäten verzichten
  • drei Tage getrennt von Personen des eigenen Haushalts schlafen, bei Kindern gilt ein Zeitraum von mindestens sieben Tagen, bei Schwangeren mindestens 15 Tage
  • bis 14 Tage nach der Therapie mit Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan effektiv mit Kondomen verhüten
  • während der Behandlung mit Pluvicto und für die Dauer von 14 Wochen nach der letzten Dosis kein Kind zeugen.

Benutzung von Toiletten: Tipps

Treffen Sie in den ersten zwei Tagen nach der Behandlung besondere Vorsichtsmaßnahmen, um eine Verunreinigung (Kontamination) zu vermeiden:

  • Setzen Sie sich beim Urinieren auf der Toilette hin und pinkeln Sie nicht im Stehen.
  • Verwenden Sie bei jedem Toilettengang Toilettenpapier.
  • Waschen Sie sich nach dem Toilettengang gründlich die Hände.
  • Entsorgen Sie Toilettentücher oder Toilettenpapier sofort nach dem Gebrauch in der Toilette.
  • Spülen Sie Tücher oder andere Gegenstände, die Körperausscheidungen wie Blut, Urin und Fäkalien enthalten, in der Toilette hinunter. 
  • Utensilien, die sich nicht in der Toilette hinunter spülen lassen, etwa Verbände, entsorgen Sie in separaten Abfallbeuteln aus Kunststoff.
  • Medizinische Ausrüstung, die durch Körperflüssigkeiten kontaminiert sein könnte (beispielsweise Katheterbeutel, Kolostomiebeutel, Bettpfannen, Wasserdüsen), entleeren Sie sofort in die Toilette und reinigen diese anschließend.

 

Duschen und Wäschepflege: Tipps

  • Duschen Sie für mindestens sieben Tage nach der Behandlung täglich.
  • Waschen Sie Unterwäsche, Schlafanzüge, Laken und sämtliche Kleider, die Schweiß, Blut oder Urin enthalten können, getrennt von der Wäsche anderer Haushaltsangehörigen im Standardwaschgang. Spezielle Bleichmittel oder zusätzliche Spülgänge sind nicht nötig.

 

Tipps für Pflegende
Für zwei bis drei Tage nach der Behandlung sollten Pflegende folgende Tipps beherzigen:

  • Bettlägerige oder eingeschränkt mobile Männer sollten Pflegende nach Möglichkeit unterstützen. Ratsam ist es, bei der Hilfe im Bad Einweghandschuhe zu tragen.
  • Beim Aufwischen von Erbrochenem, Blut, Urin oder Stuhl sollten Pflegende Kunststoffhandschuhe tragen, die sie anschließend in einem separaten Abfallbeutel aus Kunststoff entsorgen.

 

Abfall entsorgen: Tipps

  • Alle wegzuwerfenden Gegenstände sollten Sie in einem separaten Abfallbeutel sammeln. Benutzen Sie diesen nur zu diesem Zweck (keine anderen Abfälle einwerfen).
  • Halten Sie die separaten Müllbeutel aus Kunststoff getrennt von anderem Haushaltsabfall und bewahren Sie sie außer Reichweite von Kindern und Tieren auf.
  • Lassen Sie sich im Krankenhaus erklären, wie und wann Sie diese Abfallbeutel entsorgen.

 

Welche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt es?

Bisher wurden keine spezifischen Wechselwirkungen von Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan mit anderen Arzneimitteln festgestellt. 

Wie wirksam ist Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan?

Für Männer mit Prostatakrebs, die eine Standardtherapie und zusätzlich Lutetium (177Lu) Vipivotid-Tetraxetan erhalten haben, zeigte sich ein verbessertes Gesamtüberleben.

 

Quellen: