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Elektronische Hundenase erschnüffelt Prostatakrebs
14. April 2021 | von Ingrid MüllerHunde können Krebs und andere Krankheiten dank ihrer feinen Spürnase erkennen. Forschende des MIT entwickelten jetzt eine elektronische Hundenase, die dem Super-Riecher der Vierbeiner sehr nahe kommt. In einer Studie konnte sie Prostatakrebs zuverlässig aufspüren.
Dass Hunde eine äußerst feine Spürnase haben und die Lieblingsweggefährten der Bundesbürger sind, ist bekannt. Die Vierbeiner besitzen im Gegensatz zu den Menschen ein Vielfaches mehr an Riechzellen: ein Schäferhund hat ungefähr 220 Millionen Geruchssinneszellen, der Dackel noch 125 Millionen und ein Mensch nur bescheidene fünf Millionen. Hunde können daher noch feinste Geruchsspuren wahrnehmen, die einem Menschen für immer verborgen bleiben. Und diesen fantastischen Riecher von Hunden nutzen Wissenschaftler. Denn durch ein gezieltes Riechtraining können die Tiere verschiedenste Krankheiten im Urin oder der Atemluft eines Menschen erschnüffeln: eine Unterzuckerung bei Diabetes, wahrscheinlich Covid-19 und sogar verschiedene Krebsarten wie Prostata-, Blasen-, Lungen-, Brust- und Eierstockkrebs.
„Hunde haben sich in den letzten 15 Jahren als früheste und sehr exakte ‚Diagnostiker‘ von Krankheiten erwiesen“, sagt Andreas Mershin vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Ihre Leistung in kontrollierten Tests hat manchmal sogar sehr genaue Labortests übertroffen. Hunde können viele verschiedene Krebsarten manchmal sogar früher als jede andere Technologie erkennen“, so Mershin weiter. Unklar ist jedoch bislang, bei welchen chemischen Elementen im Duftstrom die Hunde Alarm schlagen und wie sie die Informationen genau verarbeiten.
Früherkennung Lesen Sie, mit welchen Methoden Ärztinnen und Ärzte Prostatakrebs rechtzeitig erkennen können. |
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Krebserkennung: Hunde leisten Präzisionsarbeit mit der Nase
Bei der Krebserkennung sind die größten tierischen Freunde des Menschen jedenfalls sehr erfolgreich. So spürten sie zum Beispiel in einigen Studien Prostatakrebs anhand von Urinproben mit einer Erfolgsquote von 99 Prozent auf. Die Hundenase könne daher zukünftig ein wichtiger Schlüssel bei der Früherkennung von Prostatakrebs sein, hoffen die Forscher. Sie sei ein genaues, nicht-invasives (ohne Prostatabiopsie) diagnostisches Werkzeug, um zwischen einem aggressiven Prostatakrebs mit einem hohen Gleason-Score und weniger gefährlichen Tumoren zu unterscheiden.
Hunde können aber nicht nur aus der Zusammensetzung des Urins, sondern auch der menschlichen Atemluft ihre Rückschlüsse ziehen. Denn jeder Mensch atmet verschiedenste flüchtige Komponenten (VOC) aus – und diese können die Super-Spürnasen ziemlich genau identifizieren.
Tierische Spürnasen erkennen nicht nur eine Krebsart
Noch erstaunlicher ist, dass Hunde sogar Verbindungen und Analogien herstellen können, wozu normalerweise nur Forschende in der Lage sind: Wenn sie auf die Proben eines Patienten mit einer bestimmten Krebsart trainiert wurden, konnten einige Tiere danach auch andere Krebsarten aufspüren. Das galt sogar, wenn die Gemeinsamkeiten zwischen den Proben nicht einmal für die Wissenschaftler offensichtlich waren.
„Hunde können Krebsarten erkennen, die keine gemeinsame biochemische Signaturen in Geruch haben“, erklärt Andreas Mershin. „Wenn man Analysemethoden wie die Gaschromatografie, Massenspektrometrie und mikrobielle Analyse einsetzt und damit die Proben von Haut-, Blasen-, Brust- oder Lungenkrebs untersucht, dann haben diese nichts gemeinsam. Dennoch sind das alles Krebsarten, die Hunde nachweislich erkennen können.“ Auf irgendeine unbekannte Weise könnten Hunde eine bestimmte Krebsart abstrahieren und verallgemeinern. So seien sie fähig, auch andere Krebsformen zu identifizieren.
Fahndung im Urin |
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Elektronische Spürnase soll Prostatakrebs früh ausfindig machen
Mit der Zuverlässigkeit von Hundenasen gibt es allerdings manchmal Probleme. Ein Wermutstropfen ist, dass es einige Zeit dauert, bis die Hunde auf die Erkennung von Gerüchen trainiert sind – das Üben ist eine zeitintensive und mühsame Angelegenheit. Und manchmal ist auf die Vierbeiner bei der Krebsfahndung herzlich wenig Verlass, etwa wenn sie gestresst, gelangweilt, müde, unmotiviert oder hungrig sind. Dann haben sie schlichtweg keine Lust auf ihre „Arbeit“.
Daher entwickelten Forschende des Massachusetts Institute of Technology (MIT) jetzt eine elektronische Spürnase mit besonderen Sensoren, die dem tierischen Riecher besonders nahe kommt. Beteiligt an der Entwicklung waren zudem Wissenschaftler von Medical Detection Dogs (MDD) in Großbritannien, die Johns Hopkins University, die Prostate Cancer Foundation sowie weitere Universitäten und Forschungsinstitute. Die Leistungen der Nase von Hund und "Maschine" verglichen sie in einer Studie. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Februarausgabe des renommierten Fachmagazins PLOS ONE.
Die Forschenden kombinierten in ihrer Studie drei Ansätze:
- Die Nasen von zwei Hunden (Labrador "Florin" und Vizsla "Midas") – die beiden Hunde waren darauf trainiert worden, den Geruch von Prostatakrebs in Urinproben von Männern mit bereits diagnostiziertem Prostatakrebs aufzuspüren. Darunter waren auch Männer mit sehr aggressivem Prostatakrebs (Gleason-Score 9), für die die Früherkennung wahrscheinlich am meisten Vorteile hätte.
- Analyse der flüchtigen organischen Verbindungen (engl. volatile organic compounds = VOCs) in Urinproben von Männern, bei denen wegen eines erhöhten PSA-Wertes der Verdacht auf Prostatakrebs bestand und die sich einer Biopsie unterzogen hatten. Diese Männer dienten als Kontrollgruppe. VOCs sind „Geruchsmoleküle“, die leicht in die Luft übergehen und sich von einem Sensor erfassen lassen – ob von einer Hundenase oder einem elektronischen "Riecher". Anhand der gewonnenen Daten trainierten die Wissenschaftler ein künstliches neuronales Netzwerk (Künstliche Intelligenz = KI) mit Hilfe des maschinellen Lernens. Dieses Netzwerk arbeitet ähnlich wie ein Gehirn.
- Mikrobielle Analyse der Urinproben – die Forscher untersuchten anhand des Erbgutes, welche Bakterien im Harn enthalten waren. Frühere Untersuchungen hatten nämlich gezeigt, dass es sowohl bei den VOCs als auch bei den Bakterienprofilen Unterschiede zwischen Urinproben von Patienten mit und ohne Krebs gab.
Prostatakrebs erkennen – Hundenasen liegen oft richtig
Bei dieser kontrollierten Studie „wussten“ weder die Forschenden noch die Hunde, welche Urinproben von Prostatakrebspatienten und welche von ansonsten gesunden Männern ohne Prostatakrebs stammten.
Die Ergebnisse:
- Die Sensitivität der Hundenasen im Schnüffeltest lag bei 71 Prozent. Diese Zahl gibt die Rate an, mit der die Hunde Urinproben von Männern mit einem nachgewiesenen Prostatakarzinom tatsächlich korrekt als „Prostatakrebs“ einstuften. Besonders den aggressivsten Prostatakrebs spürten sie schnell und zuverlässig auf.
- Die Spezifität des Tests betrug zwischen 70 und 76 Prozent. Dieser Wert zeigt, zu welchem Prozentsatz die Hunde richtigerweise die Proben von Männern ohne Prostatakrebs ignorierten und keinen Alarm schlugen. Das galt auch für jene Männer, deren PSA-Wert aufgrund einer anderen Prostataerkrankung gestiegen war.
- Außerdem identifizierten die beiden Labradore 73 Prozent der Urinproben von Männern ohne Prostatakrebs korrekt.
Diese Daten seien ungefähr mit jenen Ergebnissen vergleichbar, die ein PSA-Test liefere, schreiben die Autoren der Prostata Cancer Foundation. Zukünftig könnten die tierischen Spürnasen vielleicht als Ergänzung zum PSA-Test zum Einsatz kommen, schlagen sie vor.
„Einer der wichtigsten Punkte dieser Studie ist, dass die Hunde nicht einfach nur Prostatakrebs aufspüren. Vielmehr erkennen sie den tödlichsten Prostatakrebs. Und Männer mit dieser gefährlichen Krebserkrankung in der Prostata profitieren wohl am meisten von einer frühen Diagnose“, erklärt Jonathan W. Simons, der Co-Autor der Studie.
Dr. Claire Guest von Medical Detection Dogs und Leiterin der Untersuchung betont: “Unsere Studie zeigt, dass die Hundenase ein wesentlicher Schlüssel für eine genauere und nicht-invasive Methode in der Frühdiagnostik von Prostatakrebs jenseits des derzeitigen PSA-Tests sein könnte – und diese brauchen wir dringend.“
Elektronische Spürnase mit Künstlicher Intelligenz kombiniert
Mit der elektronischen Spürnase – einem kleinen, kompakten Gerät mit Geruchssensoren – lässt sich der Prozess der Krebserkennung automatisiert nachahmen. Und auf die Launen der Vierbeiner wären Forschende dann nicht mehr unbedingt angewiesen.
Ihr elektronisches „Riechgerät“ kombinierten die Forscher zusätzlich mit dem maschinellen Lernen, um die verschiedenen Charakteristika der Krankheitsproben noch besser zu identifizieren. Durch diese Methode der Künstlichen Intelligenz lassen sich Algorithmen so trainieren, dass das Gerät noch näher an die Leistung einer Hundenase heranreicht. „Wir haben gezeigt, dass wir mit den Sensoren die Leistungen des Hundes bis zu einem gewissen Mass wiederholen können“, so Mershin.
Künstliche Intelligenz (KI) Lesen Sie, wie Forschende mittels KI Prostatakrebs sicher erkennen können. |
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Zuletzt testeten die Forschenden 50 Urinproben von Männern, bei denen Prostatakrebs diagnostiziert worden war. Zur Kontrolle setzten sie Urinproben von Männern ein, die nicht unter dieser Krebserkrankung litten. Zum Einsatz kamen auf die Krebserkennung trainierte Hunde sowie die elektronische Spürnase.
Das künstliche System erzielte ungefähr die gleichen Erfolgsraten wie die Hunde. Beide erkannten den Prostatakrebs in mehr als 70 Prozent der Fälle. Das Miniatursystem sei derzeit ungefähr 200-mal empfindlicher als die Hundenase, wenn es darum geht, winzige Spuren von verschiedenen Molekülen aufzuspüren und zu identifizieren, so Mershin. Allerdings sei das Gerät bei der Interpretation dieser Substanzen „zu 100 Prozent dumm“. Und hier komme das maschinelle Lernen ins Spiel, um jene schwer fassbaren Muster zu finden, die Hunde vom Geruch her ableiten können.
„Hunde verstehen keine Chemie und haben keine Liste von Molekülen in ihrem Kopf“, sagt Mershin. Wenn Menschen eine Tasse Kaffee trinken, sehen sie auch keine Liste mit Namen der Substanzen und Konzentrationen vor ihrem inneren Auge, sondern sie haben eine Geschmacksempfindung. „Und diese Empfindung für den besonderen Charakter eines Geruchs können auch Hunde gewinnen.“
Zukunftsmusik: Elektronische Hundenase, die in ein Smartphone passt
Die Erkenntnisse seien eine wichtige Basis für weitere Forschungsarbeiten, so die Studienautoren. Sie planen größere Studien mit den Hundenasen, den flüchtigen Komponenten und den mikrobiellen Profilen im Urin. Ziel sei die Entwickelung eines diagnostischen Werkzeuges, das sich auf die exzellenten Spürnase von Hunden stützt – eine Art „Roboter-Nase“.
Die automatisierten Geräte zur Geruchserkennung sollen so klein sein, dass sie in jedes Smartphone passen. Alle Mobiltelefone könnte zukünftig mit der elektronischen Spürnase ausgestattet sein – ähnlich wie kleine Kameras heute in jedem Smartphone Standard sind. Die Sensoren und die Algorithmen, die durch das maschinelle Lernen entwickelt wurden, könnten schon erste Anzeichen einer Krebserkrankung entdecken. Vielleicht sogar noch weitaus eher als dies normale Früherkennungsprogramme leisten können.
„Stellen Sie sich den Tag vor, an dem Smartphone ein Warnsignal an seinen Nutzer senden, dass sie ein erhöhtes Risiko für aggressiven Prostatakrebs haben. Und zwar schon Jahre, bevor der Arzt einen Anstieg des PSA-Wertes feststellt“, sagt Andreas Mershin. „Wenn wir erst einmal die elektronische Nase für Prostatakrebs entwickelt haben, lässt sich diese auch auf andere Krankheiten übertragen.“
Quellen:
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