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Prostatakrebs: Risiko aus den Genen ablesen

25. Januar 2023 | von Ingrid Müller


Welcher Mann hat ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs, welcher nicht? Ein neues Diagnose-Werkzeug, das die Gene und Familiengeschichte berücksichtigt, könnte Antworten liefern. Der Algorithmus fischt jene Männer heraus, die besonders gefährdet sind. 

Das Risiko für Prostatakrebs ist individuell verschieden. Bei manchen Männern ist die Wahrscheinlichkeit, an Prostatakrebs zu erkranken, höher als bei anderen. Denn auch die Gene spielen mit. Bei manchen Männern liegt das Risiko für ein Prostatakarzinom in der Familie – nämlich dann, wenn enge Verwandte wie Väter, Großväter oder Brüder ebenfalls an Prostatakrebs erkrankt sind. 

Doch welcher Mann hat ein hohes Risiko für Prostatakrebs, welcher nicht? Um diese Frage zu beantworten, entwickelten Forschende der University of Cambridge und des Institute of Cancer Research (ICR) in London jetzt ein neues Werkzeug: Einen Algorithmus, der dieses individuelle Risiko eines Mannes für einen bösartigen Tumor in der Prostata vorhersagen kann. Wie das Tool zur Risikoanalyse genau funktioniert, beschrieb das Forscherteam im Fachblatt Journal of Clinical Oncology

Diagnose Prostatakrebs

Wie das Stadium des Prostatakrebses die Lebensqualität prägt.

Prostata Hilfe Deutschland: Alter Mann vor Sonnenuntergang
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Prostatakrebs – persönliches Risiko ermitteln 

Der Test namens „CanRisk-Prostate“ ermögliche es Ärztinnen und Ärzten, jene Männer zu identifizieren, die das größte Risiko für Prostatakrebs in sich trügen, schreiben sie. Bei Männern, bei denen die Gefahr für diese Krebsart geringer sei, ließen sich dagegen unnötige diagnostische Tests vermeiden – und damit vielleicht auch invasive Eingriffe wie die Biopsie

Das im Internet frei zugängliche und kostenlose Analysewerkzeug „CanRisk“ umfasst laut der Forscher bereits rund 1,2 Millionen Risikovorhersagen. Weltweit nutzten Ärzte und Ärztinnen es schon, um das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs vorherzusagen. Bald werde dort auch die Möglichkeit integriert, das Prostatakrebsrisiko zu prognostizieren.

Erhöhte PSA-Werte bedeuten nicht immer Prostatakrebs

Zur Diagnose von Prostatakrebs kommt in Deutschland vor allem die ungenaue Tastuntersuchung zum Einsatz, in vielen Fällen auch ein PSA-Test . Dabei messen Ärzte und Ärztinnen ein spezielles Eiweiß im Blut, das prostataspezifische Antigen (PSA). Nur Prostatazellen stellen dieses Protein her – Krebszellen jedoch in größeren Mengen. Allerdings ist der PSA-Wert alleine oft nicht aussagekräftig genug. Das PSA kann auch aus anderen Gründen erhöht sein, die nicht Prostatakrebs heißen. Beispiele:  gutartige Prostatavergrößerung oder eine vorherige Tastuntersuchung (digital-rektale Untersuchung = DRU). 

 

Bei ungefähr drei von vier Männern steckt hinter dem erhöhten PSA-Wert kein Prostatakrebs.

National Health Service (NHS)

 

Nicht wenige Männer erhalten also ein falsch-positives Ergebnis, weil überhaupt kein Prostatakarzinom vorliegt. 

PSA erhöht?

Ein erhöhter PSA heißt nicht automatisch Prostatakrebs. Lesen Sie 6 Gründe, die nicht Prostatakrebs heißen!

Prostata Hilfe Deutschland: Radfahrer
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Auffällige PSA-Werte klären Ärztinnen und Ärzte grundsätzlich weiter ab, etwa durch eine Gewebeentnahme (Biopsie) oder die Magnetresonanztomografie (MRT). Die Gewebeprobe analysieren Pathologen und Pathologinnen im Labor unter dem Mikroskop. Gutartige und bösartige Zellen lassen sich gut unterscheiden. So lässt sich mit hoher Sicherheit herausfinden, ob ein Mann Prostatakrebs hat – oder eben nicht. Beide Methoden – Biopsie und MRT - verursachen nicht unerhebliche Kosten.

Prof. Antonis Antoniou von der University of Cambridge sagt: „Ein PSA-Screening in der männlichen Bevölkerung ist für uns keine Option. Diese Tests liefern oft falsch-positive Ergebnisse. Das bedeutet, dass sich viele Männer einer unnötigen Biopsie unterziehen müssen.“ Außerdem wachsen viele Prostatakarzinome, die ein PSA-Test aufdeckt, nur langsam und sind somit nicht lebensbedrohlich. Auf solche Überdiagnosen folgen in der Regel Übertherapien. Denn auch harmlose Tumoren, die den Männern zu Lebzeiten nicht gefährlich geworden wären, behandeln Ärztinnen und Ärzte. Manchmal richtet dies mehr Schaden an als es den Männern nutzt.

Prostatakrebs: Gene und Familiengeschichte im Blick

„Wir müssen deshalb einen Weg finden, um jene Männer mit dem größten Risiko für Prostatakrebs zu identifizieren“, erklärt Antoniou. „Per Screening und diagnostische Tests können wir gezielt nach Männern fahnden, die am meisten von der Früherkennung profitieren. Gleichzeitig können wir die Schäden für jene Männer reduzieren, die ein geringes Risiko für diese Erkrankung haben.“ Und darauf ziele das neue diagnostische Werkzeug ab.  Es kombiniere genetische Informationen und die Familiengeschichte von Prostatakrebs – einem wesentlichen Risikofaktor für diese Krebsart. Somit erhalte man ein individuelles, personalisiertes Risikoprofil für jeden Mann. 

Risiko Verwandtschaft

Prostatakrebs kann auch erblich bedingt sein – dann liegt das  Risiko in der Familie.

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Gene beeinflussen die Gefahr von Prostatakrebs
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Dass beim Prostatakrebs auch die Gene mitspielen, ist schon länger bekannt. Die Krebsart kann erblich bedingt sein und in der Familie liegen. Der Urologe Dr. Frank Schiefelbein erklärte in einem Interview mit der Prostata Hilfe Deutschland: „Ist schon der Vater und/oder Onkel oder Bruder an Prostatakrebs erkrankt, erhöht sich das Risiko eines nahen männlichen Angehörigen um das Zwei- bis Sechsfache. Und wenn die Mutter an Brustkrebs leidet, kann der Sohn ebenfalls ein erhöhtes Risiko für Prostatakrebs haben. Diese Risikofaktoren sollten wir bei jedem Mann erfragen und erheben.“

Prostatakrebs – manchmal gibt es Fehler im Erbgut

Manche Männer erben fehlerhafte Varianten der Gene BRCA2, HOXB13 und manchmal auch BRCA1. Diese sind mit einem mittlerem bis hohem Risiko für Prostatakrebs verknüpft. Allerdings kommen diese veränderten Gene in der Allgemeinbevölkerung selten vor. Es gibt aber noch Hunderte weitere häufige genetische Varianten, die zwar jeweils ein niedrigeres Risiko für einen bösartigen Tumor in der Prostata bergen. Aber zusammengenommen können sie die Wahrscheinlichkeit für Prostatakrebs erhöhen. 

Einer von sechs Männer (16 Prozent) wird bis zum Lebensalter von 85 Jahren Prostatakrebs entwickeln. Nach dem neuen Rechenmodell ist dieses vorausgesagte Risiko  jedoch für Männer höher, die einen Vater mit Prostatakrebs haben. Es lag bei 27 Prozent, wenn der Vater die Diagnose in höherem Lebensalter erhielt (80 Jahre). Ein Prostatakrebsrisiko von 42 Prozent hatten Männer, wenn die väterliche Diagnose schon in jungen Jahren mit 50 erfolgte. 

Das Prostatakrebsrisiko war also für Männer mit genetischen Veränderungen beachtlich höher. Einige Beispiele: 

  • Für Männer mit einem veränderten BRCA2-Gen errechneten die Forschenden ein Prostatakrebsrisiko von 54 Prozent – sie werden also mit hoher Wahrscheinlichkeit an Prostatakrebs erkranken. Diese Gefahr verringerte sich entscheidend, wenn die Männer zugleich eine geringe Anzahl von Niedrig-Risiko-Genen hatten. Umgekehrt stieg es maßgeblich, wenn sie gleichzeitig eine große Anzahl dieser Niedrig-Risiko-Varianten aufwiesen. 
  • Für Träger eines veränderten HOXB13-Gens betrug das Risiko für Prostatakrebs 39 Prozent
  • Männer mit eine veränderten BRCA1-Gen hatten ein Prostatakrebsrisiko von 17 Prozent.

In der Praxis könnten Ärztinnen und Ärzte nun eine Vielzahl an Kombinationen in der Krebshistorie auswerten – häufige und seltene genetische Varianten – und so ein personalisiertes Prostatakrebsrisikoprofil erstellen.

Erblicher Prostatakrebs

Durch einen gesunden Lebensstil können Männer ihrem Schicksal ein Stück weit entkommen, ergab eine Studie.

Grafik der Erbsubstanz DNA
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Verlässlichkeit der Prognose-Tools im Test

Um die Verlässlichkeit ihres Tools zu überprüfen, werteten die Forschenden die Daten von mehr als 170.000 anderen Männern aus der UK Biobank aus. Diese enthält anonymisierte genetische Daten sowie Informationen zum Lebensstil und der Gesundheit von einer halben Million britischen Männern. Keiner der Männer war zum Startzeitpunkt der Studie an Prostatakrebs erkrankt. Mehr als 7.600 Männer entwickelten binnen zehn Jahren ein Prostatakarzinom. 

Das Forscherteam fand Folgendes heraus: 86 Prozent der an Prostatakrebs erkrankten Männer gehörten zu jener Gruppe, die das höchste prognostizierte Risiko hatten. Die Ergebnisse  deuteten darauf hin, dass sich diese Untergruppe der Bevölkerung mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für Prostatakrebs durch ein gezieltes Screening und diagnostische Tests ausfindig machen lasse. 

Dr. Tommy Nyberg von der University of Cambridge sagt: „Wir haben ein umfangreiches Werkzeug entwickelt, um das individuelle Risiko eines Mannes für Prostatakrebs vorherzugsagen. Es hilft Ärzten und genetischen Beratern hoffentlich, das persönliche Risiko der Patienten einzuschätzen und weitere geeignete Schritte in die Wege zu leiten.“

Interview

Der Urologe Dr. Frank Schiefelbein erklärt, warum der risikoangepasste PSA-Test zukünftig die größte Bedeutung hat. 

Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild - Labor
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Erbliches Prostatkrebsrisiko? Bald verbesserte genetische Bluttests

In den kommenden Monaten wollen die Forschenden das neue Werkzeug zur Risikoabschätzung bei Prostatakrebs in das schon vorhandene CanRisk-Tool integrieren. Dies werde das Risikomanagement bei familiärem Prostatakrebs für Ärztinnen und Ärzte vereinfachen und die risikoangepasste Früherkennung in der Bevölkerung verbessern, hofft das Forscherteam. „Dies ist ein wichtiger Schritt dahin, dass Mediziner mit den Männern über ihr persönliches Risiko für Prostatakrebs sprechen können“, erklärt Prof. Ros Eeles vom ICR. „Die Basis dafür ist ein sehr genaues Computermodell. Es hilft ihnen, Entscheidungen über ein Screening zu treffen“, so Eeles weiter. 

Eine Einschränkung hat der neue Algorithmus aber: Derzeit umfassen die Daten, auf deren Basis das Risikomodell entwickelt wurde, nur Männer europäischer Herkunft. Zukünftig solle es auch Männer anderer Ethnien mit einschließen. 

Dass jenseits der PSA-Tests und der üblichen Tastuntersuchung zukünftig noch andere Diagnosemethoden bei Prostatakrebs eine Rolle spielen werden, glaubt auch der Würzburger Urologe Schiefelbein: „In Zukunft werden Ärzte wahrscheinlich Männern mit erhöhtem erblichen Prostatakrebsrisiko verbesserte genetische Bluttests anbieten können. So ließe sich dann das individuelle Risiko noch besser abschätzen.“

 

Quellen: