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Prostatakrebs: Operation und Bestrahlung nicht immer die beste Wahl
17. April 2023 | von Ingrid MüllerProstatakrebs operieren, bestrahlen oder zunächst nur kontrollieren? Eine neue Studie zeigt, dass das Überleben bei allen drei Strategien genauso hoch ist, selbst nach 15 Jahren.
Operation, Bestrahlung oder den Prostatakrebs nur regelmäßig überwachen – dies sind nur drei von vielen Behandlungsmöglichkeiten für Männer, die an Prostatakrebs erkrankt sind. Welche Therapie zum Einsatz kommt, hängt unter anderem vom Stadium, der Ausbreitung und der Aggressivität des Tumors in der Prostata ab. Doch auch für Ärzte und Ärztinnen ist es oft nicht leicht zu beantworten, welche Krebstherapie für welchen Mann am besten geeignet ist. Mehr Licht in diese Frage bringen jetzt die Ergebnisse der sogenannten ProtecT-Studie.
Dieser zufolge ist bei einem örtlich begrenzten Prostatakrebs das Aufschieben der Behandlung oft die bessere Option. Die aktive Überwachung des Prostatakarzinoms sei nicht mit einem höheren Sterberisiko verbunden als eine Operation oder Strahlentherapie. Nach 15 Jahren seien die Überlebensraten bei allen drei Behandlungsstrategien gleich hoch. Zu diesem Schluss kam eine Forschungsgruppe von den Universitäten Oxford und Bristol. Die Studienergebnisse wurden im renommierten Fachmagazin New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht.
Krebsbehandlungen |
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Prostatektomie, Strahlentherapie oder aktive Überwachung?
Die „ProtecT-Studie“ ist die größte Langzeitstudie bisher. Und sie ist die erste Studie, die drei Prostatakrebstherapien – Operation. Bestrahlung und aktive Überwachung- direkt miteinander verglichen hat. Zwischen 1999 und 2009 nahmen daran insgesamt 1.643 Männer aus Großbritannien teil, die zwischen 50 und 69 Jahren alt waren. Die Untersuchung wurde an neun britischen Krebszentren durchgeführt.
Bei allen Männern war ein örtlich begrenzter Prostatakrebs diagnostiziert worden. Der bösartige Tumor war noch auf die Prostata beschränkt und hatte die Kapsel der Vorsteherdrüse noch nicht durchbrochen. Er hat sich also noch nicht auf umliegendes Gewebe oder weiter entfernte Organe ausgebreitet.
Nach dem Zufallsprinzip wurden die Männer auf drei Gruppen aufgeteilt:
- 545 Männer erhielten eine aktive Überwachung – dabei findet zunächst keine Behandlung statt, sondern Ärztinnen und Ärzte kontrollieren den Tumor nur in regelmäßigen Abständen. Sie bestimmen den PSA-Wert und führen regelmäßig Gewebeentnahmen (Biopsien) durch. Erst wenn der Tumor wächst und sich ausbreitet, beginnen sie mit einer Krebstherapie.
- 553 Männer unterzogen sich einer Prostata-Op, einer radikalen Prostatektomie. Dabei entfernen Mediziner und Medizinerinnen die Prostata samt Tumor. Die Prostatektomie ist oft mit Nebenwirkungen wie einer Inkontinenz und Erektiler Dysfunktion verbunden.
- 545 Männer absolvierten eine Strahlentherapie. Dabei schädigen hochenergetische Strahlen das Erbgut der Krebszellen. Sie können diese Schäden nicht mehr reparieren und sterben ab. Auch eine Bestrahlung kann Nebenwirkungen mit sich bringen, zum Beispiel Haut- oder Darmprobleme.
Anschließend beobachteten die Forschenden die Männer im Schnitt über 15 Jahre. Sie bestimmten die Sterblichkeitsrate, das Fortschreiten und die Ausbreitung des Prostatakarzinoms sowie die Auswirkungen der Krebsbehandlungen auf die Lebensqualität.
Aktive Überwachung Erfahren Sie, wie die aktive Überwachung abläuft, warum Männer die aktive Überwachung oft abbrechen und wie sich die Angst vor dem Fortschreiten des Tumors vertreiben lässt. |
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Nach Prostata-Op und Bestrahlung: Folgen sind noch lange spürbar
Die wichtigsten Ergebnisse der Studie im Überblick:
- Bei Männern, die sich einer aktiven Überwachung unterzogen, war zwar die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass der Prostatakrebs fortschritt oder sich ausbreitete. Dennoch wirkte sich dies nicht auf ihr Überleben aus.
- Ungefähr 97 Prozent der Männer überlebten die nächsten 15 Jahre nach ihrer Krebsdiagnose – und zwar unabhängig davon, welche Krebsbehandlung sie erhielten.
- Rund ein Viertel der Männer, die sich einer aktiven Überwachung unterzogen, brauchten auch nach 15 Jahren keine „aktive“ Krebsbehandlung.
- Männer aus allen drei Behandlungsgruppen berichteten von einer ähnlichen Lebensqualität, was ihre seelische und körperliche Gesundheit anging.
- Die Nebenwirkungen der radikalen Prostatektomie und der Bestrahlung waren für die Männer deutlich länger spürbar als gedacht: nämlich für bis zu zwölf Jahre. Die Folgen der Krebsbehandlungen waren Inkontinenz, Störungen der Darmfunktion und Erektile Dysfunktion.
Aktive Überwachung senkt Überlebenschancen nicht
Die Studienergebnisse zeigten, dass die Therapieentscheidungen bei einem örtlich begrenzten Prostatakrebs mit niedrigem oder mittlerem Risiko nicht übereilt getroffen werden müssten, erklärt Prof. Freddie Hamdy von der University of Oxford. „Es ist jetzt klar, dass die Diagnose Prostatakrebs kein Grund zur Panik oder für rasche Entscheidungen ist – im Gegensatz zu manchen anderen Krebsarten“, sagt Studienleiter Hamdy. „Patienten und Ärzte können und sollten sich Zeit nehmen, um sämtliche Vorteile und mögliche negative Folgen der verschiedenen Krebsbehandlungen abzuwägen. Sie wissen jetzt, dass dies keinen negativen Einfluss auf das Überleben hat.“
Frühere Untersuchungen aus dem Jahr 2016 hatten darauf hingedeutet, dass bei einer aktiven Überwachung die Wahrscheinlichkeit für das Fortschreiten oder die Metastasierung des Prostatakarzinoms innerhalb von zehn Jahren doppelt so hoch war. Die Forschenden schlussfolgerten daraus, dass Männer unter einer aktiven Überwachung über einen längeren Zeitraum niedrigere Überlebensraten haben. Die jetzige Studie über 15 Jahre zeigte jedoch, dass dies nicht der Fall ist. Vielmehr waren die Überlebensraten in allen Gruppen ungefähr gleich hoch.
Hamdy sagt: „Das sind sehr gute Nachrichten. Die meisten Männer mit lokalem Prostatakrebs haben gute Chancen, lange Zeit zu überleben. Dies hängt nicht davon ab, ob sie eine aktive Krebstherapie erhalten oder nicht. Deshalb ist eine schnelle Entscheidung nicht notwendig und könnte sogar Schaden anrichten.“
Es sei aber jetzt auch klar, dass eine kleine Gruppe von Männern mit einem aggressiven Prostatakrebs vermutlich von keiner dieser Behandlungen profitiere, auch wenn sie frühzeitig begonnen würden. Wichtig sei es, diese Männer zu identifizieren und die Möglichkeiten zu verbessern, sie auch zu behandeln.
Interview mit unserem Experten für ProstatakrebsDr. Frank Schiefelbein, Urologe und Chefarzt an der KWM Missioklinik, Würzburg |
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Herr Dr. Schiefelbein, bei der aktiven Überwachung ist es oft unklar, welche Männer davon profitieren. Zur Sicherheit schlagen Ärzte oft gleich eine Therapie vor, die unangenehme Folgen hat. Warum ist diese Einschätzung so schwierig? Die Frage, welche Therapie zu welchem Mann bei Prostatakrebs passt, ist in der Tat komplex. Hier helfen uns aber die Leitlinien zum Prostatakarzinom weiter. Sie geben klare Empfehlungen, für welchen Mann die aktive Überwachung geeignet ist – und für welchen nicht. Auch die Bildgebung unterstützt uns bei dieser Entscheidung, etwa ein transrektaler Ultraschall. Neue Geräte haben eine sehr gute Auflösung und können uns auf jeden Fall etwas über den Tumor sagen. Auch die MRT kann uns dabei helfen, ob die aktive Überwachung eine Möglichkeit für einen Mann ist. Vor allem psychisch ist die aktive Überwachung schwierig. Wie kommen Männer damit klar? Bei einer aktiven Überwachung therapieren wir den Tumor ja nicht. Wir bestrahlen nicht, wir operieren nicht. Das ist auch für den Patienten keine einfache Situation. Die Frage der Sicherheit ist nach meiner Erfahrung für die Männer oft entscheidend. Manche sagen von vornherein: ‚Ich möchte den Tumor entfernt haben‘ oder ‚Ich fühle mich sicherer, wenn wir den Tumor mit einer Bestrahlung behandeln‘. Wir müssen immer auf jeden Patienten einzeln eingehen und seine Wünsche berücksichtigen. Wir können den Tumor anhand des Tumormarkers PSA jedoch so überwachen, dass wir eine relativ hohe Sicherheit haben. Dadurch können wir Männer auch beruhigen. |
Das vollständige Interview mit Dr. Frank Schiefelbein lesen sie hier! |
Therapieentscheidung bei Prostatakrebs – Wünsche spielen mit
Prof. Jenny Donovan von der University of Bristol erklärt: „Patienten und Ärzte haben jetzt die notwendigen Informationen zu den langfristigen Nebenwirkungen der Krebsbehandlungen. Damit können sie auch einen besseren Kompromiss zwischen den Vorteilen und Nachteilen finden. Das Überleben müssen sie dabei nicht mehr in Betracht ziehen, wenn Patient und Arzt sich gemeinsam für eine Therapie entscheiden.“ Für alle drei Optionen seien die Überlebensraten etwa gleich hoch. „Männer mit örtlichem Prostatakrebs können ihre eigenen Werte, Vorstelllungen und Prioritäten mit einbringen, wenn sie die schwierige Entscheidung treffen, welche Therapie sie wählen.“
Prostatakrebs: Sterblichkeit auch bei Tumor mit mittlerem Risiko gering
Die Studie hat auch einige Mängel bei den herkömmlichen Methoden aufgedeckt, mit denen sich vorhersagen lässt, welcher Prostatakrebs wahrscheinlich schnell wächst und sich ausbreitet. Anfangs war nämlich bei allen Männern ein örtlich begrenzter Prostatakrebs diagnostiziert worden. 77 Prozent der Prostatakarzinome wurden als Krebs mit niedrigem Risiko eingestuft.
Eine erneute Einschätzung der Prostatatumore mit moderneren Methoden zeigte allerdings, dass eine deutlich größere Anzahl von Prostatakarzinomen in die Gruppe „mittleres Risiko“ gehörte. Bei ungefähr 30 Prozent der Männer hatte sich der Krebs schon zu Beginn über die Prostata hinaus ausgebreitet. Das wiederum heißt, dass die Studienteilnehmer das Stadium und die Ausbreitung des Krebses schon weiter fortgeschritten war als anfangs angenommen.
Aber unabhängig davon war die Sterblichkeit trotzdem niedrig. Das galt auch, wenn Männer mit einem Tumor mit mittlerem Risiko die Krebsbehandlung aufschoben oder sie gar nicht durchführen ließen. Einige Männer, die später an ihrem Prostatakrebs starben, waren sogar bei der Diagnose in die Gruppe von Tumoren mit niedrigem Risiko eingestuft worden. Das sei ein Problem, dem man Aufmerksamkeit schenken sollte, so die Forschungsgruppe.
Lokal begrenzter Prostatakrebs |
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Fehlendes Wissen: Welche Prostatakarzinome sind besonders aggressiv?
Prof. Peter Albers, Urologe in Düsseldorf, sagt: „Die Tatsache, dass das weitere Fortschreiten des Erkrankung, die wir unter der aktiven Überwachung gesehen haben, nicht in einer höheren Sterblichkeit mündet, ist einerseits überraschend und anderseits für Urologen und Patienten ermutigend.“ Die aktive Überwachung und die Protokolle für die Biopsien seien heutzutage viel ausgefeilter als zu jener Zeit, in der die Studie durchgeführt wurde. Es sei also möglich, dass sich der Verlauf der Erkrankung weiter positiv beeinflussen ließe.
„Es ist eine wichtige Nachricht für Patienten, dass das Aufschieben der Krebstherapie sicher ist, besonders, weil dies auch ein Aufschieben der Nebenwirkungen bedeutet. Allerdings liegt es jetzt auch auf der Hand, dass wir immer noch zu wenig über die Biologie des Prostatakrebses wissen, um herauszufinden, welche Tumoren besonders aggressiv sind. Daran müssen wir dringend weiter forschen.“
Quellen:
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