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Prostatakrebs: Neuere Antiandrogene erhöhen die Sturzgefahr

13. Juni 2023 | von Ingrid Müller

Antiandrogene der zweiten Generation können vielen Männern mit Prostatakrebs helfen. Doch sie erhöhen das Risiko für Stürze, Fatigue und kognitive Probleme, ergab eine neue Studie. 

Die Behandlung mit Antiandrogenen der zweiten Generation ist eine wichtige Behandlungsstrategie für Männer mit fortgeschrittenem Prostatakrebs. Auch bei einem kastrationsresistenten Prostatakrebs sind die neueren Medikamente eine Behandlungsmöglichkeit, wenn die „normale“ Hormontherapie nicht mehr anschlägt. Antiandrogene der zweiten Generation können das Therapieergebnis verbessern und das Überleben verlängern. Medikamente aus dieser Wirkstoffklasse sind zum Beispiel die Abirateron, Apalutamid, Darolutamid und Enzalutamid. 

Doch wie alle Medikamente haben sie auch einige Nebenwirkungen. In einer Studie fand ein Forschungsteam aus den USA jetzt heraus, dass Antiandrogene der zweiten Generation das Risiko für kognitive Probleme, Fatigue und Stürze erhöhen. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie in der Mai-Ausgabe des renommierten Fachmagazins JAMA Oncology. 

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Prostata Hilfe Deutschland: Nadel einer Spritze vor gelben Hintergrund
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Studienteilnehmer: Mehr als 13.500 Männer mit Prostatakrebs

Das Forschungsteam um Malgorzata Nowakowska vom Anderson Cancer Center in Houston, Texas, analysierte die Daten aus zwölf klinischen Studien (2008 bis 2021) in einer Meta-Analyse. Mehr als 13.500 Teilnehmern hatten an den Untersuchungen teilgenommen. Eingeschlossen waren sowohl Männer mit einem metastasierten Prostatakrebs als auch Männer, deren Prostatakarzinom noch keine Krebsabsiedelungen gebildet hatte. Im Schnitt waren die Männer 67 bis 74 Jahre alt. Beobachten wurden sie über einen Zeitraum von 3,9 bis 48 Monate. In diesen Studien wurden Antiandrogene der zweiten Generation mit einem Placebo verglichen. 

Die wichtigsten Ergebnisse:

  • Zwischen zwei und acht Prozent der Männer, die Antiandrogene der zweiten Generation erhielten, litten unter kognitiven Beeinträchtigen und Störungen der Aufmerksamkeit. Bei Männern, die ein Placebo ohne Wirkstoff bekamen, betrug diese Rate nur zwei bis drei Prozent. Dies entsprach einem fast doppelt so hohen Risiko für kognitive Effekte durch die Antiandrogene.
  • Von einer Fatigue berichteten 5 bis 45 Prozent der Männer, die Antiandrogene anwendeten. In der Placebo-Gruppen waren es 2 bis 42 Prozent. Fatigue ist eine lähmende Erschöpfung, die sehr viele Menschen mit einer Krebserkrankung betrifft. Ein höheres Alter war mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung einer Fatigue verknüpft. 
  • Die Anwendung von Antiandrogenen bedeutete ein 87 Prozent höheres Risiko für Stürze im Vergleich zu Placebo. Dies galt unabhängig von der Schwere der Stürze. Das Risiko für schwere Stürze (Schweregrad drei oder höher) war um 72 Prozent höher unter dieser Hormontherapie. Die Männer mussten ins Krankenhaus oder operiert werden. 

 

Faktoren, die die Aussagekraft der Studie einschränken 

Die Studie besitze jedoch einige Einschränkungen, was die Aussagekraft der Ergebnisse angehe, betonen die Forschenden. Ein Punkt sei, dass es nicht bekannt gewesen ist, wie lange die Männer die Antiandrogene der zweiten Generation schon eingenommen hätten, bevor die Nebenwirkungen auftraten. Unklar sei es auch, ob und welche Rolle die Art des angewendeten Antiandrogens bei den unerwünschten Wirkungen spiele. So wissen die die Forschenden nicht, ob die Probleme mit dem einen Antiandrogen stärker ausfallen als mit einem anderen. 

Dazu kommt, dass viele Männer in der Gesellschaft älter seien als die Probanden in der Studie und noch weitere Krankheiten hätten. So könnte ganz allgemein das Risiko für Stürze, Fatigue und kognitive Probleme bei diesen Männern höher liegen als bei den Studienteilnehmern. 

Dennoch seien die Studienergebnisse von Bedeutung, um ein Bewusstsein für diese Probleme durch die neuen Antiandrogene in der Öffentlichkeit zu schaffen. Die Medikamente seien die erste Wahl bei fortgeschrittenem und kastrationsresistentem Prostatakrebs. Auch würde der Einsatz dieser Medikamente auf weitere Anwendungsfälle ausgedehnt. Dies führe zu einer immer größeren Anzahl von Männern, die mit solchen Risiken konfrontiert seien. 

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Prostata Hilfe Deutschland: Grafik grüne Bakterien
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Bei Prostatakrebs: Mehr Aufmerksamkeit für Nebenwirkungen der Antiandrogene

Die Botschaft sei daher: Männer und ihre behandelnden Ärztinnen und Ärzte müssten sich stärker gewahr werden, was mit dem Einsatz der neuen Antiandrogene womöglich verbunden sein könne. Bei allen Krebsbehandlungen gelte es,  die Risiken und Vorteile gut gegeneinander abzuwägen, schreiben die Studienautorinnen und -autoren. 

Auch müssten in weiteren Studien jene Männer identifiziert werden, die das größte Risiko für diese Nebenwirkungen hätten. So ließe sich ein geeigneter Weg finden, um diesen vorzubeugen oder sie zu behandeln. „Derzeit werden Therapien wie die Wirkstoffe Donepezil und Methylphenidat untersucht“, schreibt das Forschungsteam. Donepezil erhöht die Konzentration einer Substanz im Gehirn, die an der Gedächtnisfunktion beteiligt ist. Der Wirkstoff Methylphenidat kommt dagegen bei ADHS zum Einsatz, einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung.  Untersucht werde zudem die Wirkung einer fettarmen Ernährung, von Akupunktur, Kampfsport und eines hochintensiven Trainings.  Unklar ist aber noch, ob diese und andere Maßnahmen tatsächlich Erfolge bringen. 

Neue Antiandrogene – Nutzen und Risiken individuell abwägen

In einem Editorial haben zwei Prostatakrebsspezialistinnen die Studienergebnisse kommentiert - Alexandra Sokolova von der Oregon Health and Science University, Portland,  und Julie Graff vom VA Portland Health Care System. Die Nutzen-Risikoabwägung beim Einsatz der Antiandrogene falle von Mann zu Mann eventuell verschieden aus. 

Es sei zum Beispiel ein Unterschied, ob ein Mann mit Prostatakrebs noch berufstätig sei und seinen Job ausüben oder gerne den Schulabschluss seiner Enkelkinder erleben wolle. Die Studie fülle jedoch eine „kritische Lücke“, wenn es um die Beratung von Männern zu den Medikamenten gehe. Die Ergebnisse könnten bei der Diskussion des Für und Wider hilfreich sein, so die Autorinnen.

 

Quellen: