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Prostatakrebs: Behandlung mit „bewaffneten“ Antikörpern

18. Januar 2023 | von Ingrid Müller


Forschende aus London haben einen neuen Ansatz für die Behandlung von Prostatakrebs entwickelt: „Bewaffnete“ Antikörper sollen Krebszellen abtöten und Tumoren schrumpfen lassen. Das Medikament funktioniert offenbar – allerdings bislang nur im Labor. 

Für Männer mit Prostatakrebs gibt es verschiedenste Behandlungsmöglichkeiten – von der Operation und Bestrahlung über die Hormontherapie bis hin zum Abwarten und Beobachten. Welche Therapie sich für welchen Mann eignet, hängt in erster Linie vom Stadium und der Aggressivität des Prostatakarzinoms ab, aber auch vom Alter sowie von den Wünschen und Vorstellungen eines Mannes. Weltweit arbeiten Forschende an neuen Strategien, um den Prostatakrebs gezielter zu attackieren, sein Fortschreiten zu verhindern und möglichst wenige Nebenwirkungen durch die Krebsbehandlung zu verursachen.

Prostatakrebstherapie: Ziel ist ein Eiweiß auf den Krebszellen

Über einen neuen Therapieansatz berichtet jetzt ein Forscherteam vom Institute of Cancer Research (ICR) in London. Die Behandlung richtet sich gezielt gegen ein Eiweiß mit dem Kürzel „B7-H3“. Es ist unter Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auch als „CD276“ bekannt. Man nimmt an, dass dieses Protein bei der Regulation der Immunantwort mitspielt. 

Das Forscherteam fand heraus, dass sich auf den Zelloberflächen der aggressivsten und gefährlichsten Prostatakarzinome große Mengen des Eiweißes B7-H3 befinden – im Gegensatz zu gesunden Zellen im Körper. Dieses Eiweiß macht Prostatakrebszellen anfällig und genau an dieser „Achillesferse“ setzten die Forschenden jetzt bei der Entwicklung der neuen Krebstherapie an.

Prostatakrebs

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Prostata Hilfe Deutschland: Grafik einer Krebszelle
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Anti-B7-H3-Medikamente  gegen Prostatakrebs

Anti-B7-H3 Medikamente sind auch als sogenannte „Immunkonjugate“ bekannt. Dabei ist ein Antikörper durch eine Bindung an ein zweites Molekül gekoppelt. Dieses kann zum Beispiel ein Arzneistoff oder ein Radionuklid (wie bei der Lutetium-177-Therapie) sein. Anti-B7-H3 Medikamente zielen sehr spezifisch auf das Eiweiß B7-H3 ab. Sie binden speziell an Krebszellen und vermindern somit die Giftigkeit (Toxizität) für andere gesunde Zellen. Somit wird gesundes Gewebe weitgehend geschont.

Anti-B7-H3 Medikamente bestehen aus Antikörpern (Eiweißen) und einem zweiten Molekül, das als Gift (Toxin) wirkt. Die Antikörper können Krebszellen erkennen, indem sie sich an das B7-H3 auf der Oberfläche der Tumorzellen anheften. Der zweite Part des Medikaments – der Giftstoff – tötet dagegen die Krebszellen ab. Daher funktionieren diese Arzneimittel wie „bewaffnete Antikörper“, die ihre giftige Fracht direkt an die Krebszellen abgeben – und sie auf diese Weise absterben lassen. Man kann die Arzneien mit einer gelenkten und gezielt abgefeuerten Rakete gegen Krebszellen vergleichen.

Prostatakrebsgewebe im Labor untersucht

In ihrer Studie analysierten die Forschenden Gewebeproben von 98 Männern, die zwischen 2011 und 2019 wegen ihres Prostatakrebses behandelt worden waren. Außerdem führten sie Tests an Mäusen und sogenannten Organoiden durch, um die Wirksamkeit von Anti-B7-H3-Medikamenten zu testen. Organoide sind im Labor gezüchtete Zellgruppen, die sich selbst zu dreidimensionalen, organähnlichen Zellstrukturen organisieren. Die Ergebnisse ihrer Studie veröffentlichten sie im renommierten Fachblatt European Urology.

Zuerst untersuchten sie das Prostatakrebsgewebe der Männer im Labor, die eine Hormontherapie wegen ihres Prostatakarzinoms erhalten hatten. Durch den Entzug des Geschlechtshormons Testosteron verfügen die Prostatakrebszellen nicht mehr über genügend „Treibstoff“, um sich zu teilen und zu vermehren.  Doch irgendwann reagieren die Tumorzellen nicht mehr empfindlich auf den Hormonentzug und der Tumor wächst trotzdem weiter. Mediziner und Medizinerinnen sprechen von einem kastrationsresistenten Prostatakrebs. Die Untersuchungszeitpunkte waren vor und nachdem der Prostatakrebs kastrationsresistent geworden war, die Hormontherapie also nicht mehr ausreichend wirkte. 

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Prostata Hilfe Deutschland: Illustrationsbild Kastrationsresistenter Prostatakrebs - Mann mit Tabletten in der Hand
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B7-H3 ist schon bei der Diagnose von Prostatakrebs vorhanden

Das Forscherteam fand Folgendes heraus: 

  • Bei ungefähr neun von zehn Männern (91 von 98) wiesen die Krebszellen große Mengen an B7-H3 auf ihren Oberflächen auf, als der Prostatakrebs kastrationsresistent geworden war und die Hormontherapie keine ausreichenden Effekte mehr zeigte. 
  • Auch die Gewebeproben, die zur Diagnose des Prostatakrebses entnommen worden waren und die von 72 (von 98) Männern vorlagen, zeigten ein ähnliches Bild: Bei 70 von 72 Männern war B7-H3 zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden – also bevor sie einen kastrationsresistenten Prostatakrebs entwickelt hatten. 

„Dies zeigt, das B7-H3 auf den aggressivsten Prostatakrebszellen schon ab der Diagnose vorhanden ist. Wir nehmen deshalb an, dass das Medikament bereits einsetzbar ist, wenn der Prostatakrebs festgestellt wird“, schreiben die Forschenden. 

Zusätzliche Fehler in den Reparatur-Genen des Erbguts

Sie fanden aber noch etwas anderes heraus: Krebszellen mit dem Eiweiß B7-H3 auf der Oberfläche wiesen häufiger Fehler in den Reparatur-Genen des Erbguts (der DNA) auf. Dazu gehören zum Beispiel die Reparaturgene namens „ATM“ oder „BRCA2“. Letzteres spielt beim erblichen, familiären Brustkrebs eine wichtige Rolle und ist in diesem Zusammenhang gut untersucht. 

Auch bei Männern kommen Veränderungen (Mutationen) in den BRCA1- und BRCA2-Genen vor und erhöhen das Risiko für Prostatakrebs. Diese Prostatakarzinome sind mit einem aggressiveren Tumorwachstum und einer höheren Rate für mit Krebszellen befallenen Lymphknoten verbunden. Womöglich gebe es eine Verbindung zwischen dem Eiweiß B7-H3 und einer fehlerhaften DNA-Reparatur, vermutet das Forscherteam. 

Prostatakrebszellen: Anti-B7-H3-Medikament scheint wirksam

Anschließend testeten die Forschenden die Wirksamkeit eines speziellen Anti-B7-H3-Medikament mit dem Kürzel „DS-7300a“. Sie wollten wissen, ob das Medikament Prostatakrebszellen mit verschiedenen Mengen an B7-H3 auf ihren Oberflächen und mit unterschiedlichen genetischen Defekten (einschließlich Fehlern in den DNA-Reparaturgenen) attackiert und abtötet.

Ergebnis: DS-7300a zeigte eine „beeindruckende Anti-Tumor-Aktivität“, wie die Forscher schreiben. Das Medikament ließ im Labor Prostatakrebszellen absterben und Tumoren schrumpfen. Diese Effekte waren sowohl bei den Prostatakrebszellen der Männer feststellbar als auch bei Mäusen, denen die Forscher diese Zellen eingepflanzt hatten.  Wirksam war das Medikament auch bei den dreidimensionalen Organoiden, die aus den Prostatakrebszellen der Männer gezüchtet worden waren.  

Auch wenn das Eiweiß B7-H3 auf den Prostatakrebszellen vorhanden sein muss, damit die Behandlung mit DS-7300a wirkt – die Menge des Proteins scheint dabei nicht entscheidend zu sein. Die Forschenden müssen daher noch nach anderen Faktoren fahnden, um herauszufinden, welcher Mann mit Prostatakrebs von diesem Medikament profitiert und welcher nicht. Dazu gehörten zum Beispiel Fehler in speziellen Tumor-Genen. 

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Anti-B7-H3-Medikamente – zukünftige Schlüsseltherapie bei Prostatakrebs?

Als nächstes planen die Londoner Forscher klinische Studien, um die Wirksamkeit von Anti-B7-H3-Medikamenten bei Männern mit Prostatakrebs zu testen. Auch die Mechanismen, die zur Produktion unterschiedlicher Mengen an B7-H3 auf den Oberflächen der Krebszellen führen, wollen sie stärker beleuchten. Nur wenn die Rolle des Eiweißes beim Krebswachstum besser verstanden sei, ließen sich auch Krebstherapien entwickeln, die genau auf das B7-H3 abzielen. 

Johann de Bono, Studienleiter und Professor für Experimentelle Krebsmedizin am ICR, sagt: „Wenn das Eiweiß B7-H3 auf Prostatakrebszellen vorhanden ist, neigt die Erkrankung dazu, fortzuschreiten und sich rasch auszubreiten. Das Abzielen auf B7-H3 könnte eine Schlüsselbehandlung bei Prostatakrebs werden. Denn wir konnten zeigen, dass Medikamente gegen dieses Protein Krebszellen zerstören und Tumore verkleinern können.“ Andere Vertreter aus der Gruppe der Immunkonjugate hätten schon Erfolge bei verschiedenen Krebsarten erzielt – aber bislang nicht bei Prostatakrebs, so de Bono weiter. 

Die Studienautorin Dr. Christina Guo vom ICR erklärt: „Unsere Studienergebnisse beweisen, dass B7-H3 bei der Mehrzahl der aggressiven Prostatakarzinome vorhanden ist, und zwar schon ab dem Zeitpunkt der Krebsdiagnose. Das gilt besonders für Männer, deren Prostatatumoren Fehler in den DNA-Reparaturgenen aufweisen. B7-H3 hat daher das Potenzial, einem signifikanten Anteil dieser Männer zu helfen.“

 

Quellen: