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Stockholm-3-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs – das steckt dahinter

06. Februar 2023 | von Ingrid Müller

Der Stockholm-3-Test soll aggressiven Prostatakrebs früher erkennen können. Ein Algorithmus kombiniert Informationen über Bluteiweiße, genetische Varianten und individuelle Daten der Männer, etwa Prostatakrebs in der Familie. Lesen Sie die wichtigsten Fakten! Und: Der Urologe Dr. Frank Schiefelbein ordnet den STHLM3-Test im Interview ein.

Kurzübersicht

  • Was ist der Stockholm-3-Test?Soll aggressiven Prostatakrebs früher erkennen sowie unnötige Biopsien, Magnetresonanztomografien (MRT), Überdiagnosen und Übertherapien vermeiden helfen
  • Wie funktioniert der STHLM3-Test? Kombiniert mehrere Faktoren wie Bluteiweiße, genetische Marker und individuelle Faktoren wie Prostatakrebs in der Familie
  • Wann eingesetzt? Zusätzlich zum PSA-Wert, wenn dieser über 1,5 ng/ml liegt, auch wenn normalerweise eine MRT folgen würde, eventuell im Rahmen eines allgemeinen Screenings zur Prostatakrebsfrüherkennung
  • Wie zuverlässig? Soll Prostatakarzinome sicher aufspüren und zwischen harmlosen und aggressiven Tumoren unterscheiden können, gibt Ärztinnen und Ärzten eine Handlungsempfehlung
  • Interview: Was sagt der Urologe Dr. Frank Schiefelbein? Test geht in die richtige Richtung, aber zweifelhaft, ob die Krankenkassen die Kosten übernehmen werden
  • Was bedeutet das Ergebnis? Test erstellt einen Risikoscore von niedrig, normal bis erhöht; dann erneuter Test nach sechs beziehungsweise zwei Jahren, bei erhöhtem Risiko folgen gleich weitere Untersuchungen
  • Für welche Männer geeignet? Zwischen 45 und 74 Jahren, ohne Prostatakrebserkrankung, bei erhöhtem PSA-Wert
  • Kosten: ca. 400 Euro plus Kosten für Arztgespräch und so weiter, Krankenkassen bezahlen den Stockholm-3-Test nicht, also Selbstzahlerleistung

Was ist der Stockholm-3-Test?

Der Stockholm-3-Test (auch Stockholm3 oder STHLM3-Test) ist ein noch relativ neuer Test, der Ärztinnen und Ärzten zukünftig bei der Früherkennung und Diagnose von Prostatakrebs helfen könnte. Entwickelt hat den Test der Krebsepidemiologe Prof. Henrik Grönberg vom Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden. 

Der STHLM3-Test soll zuverlässige, genauere und aussagekräftigere Ergebnisse liefern sowie unnötige Gewebeentnahmen (Biopsien) und MRT-Untersuchungen vermeiden. Auch die Anzahl an falsch-positiven Resultaten – ein Mann hat in diesem Fall keinen Prostatakrebs – soll der Stockholm-3-Test reduzieren helfen. Ärztinnen und Ärzte sollen also mit größerer Sicherheit feststellen können, ob ein Mann tatsächlich einen aggressiven, behandlungsbedürftigen Prostatakrebs hat – oder eben nicht. 

Deutschland setzt bei der Früherkennung derzeit vor allem auf die Tastuntersuchung (digital-rektale Untersuchung = DRU) und den PSA-Test. Diesen müssen Männer hierzulande nach wie vor selbst bezahlen. Beide Methoden haben ihre Schwächen. Die Tastuntersuchung ist oft ungenau und der PSA-Test liefert nicht selten falsch-positive Ergebnisse. Bei einem Verdacht auf Prostatakrebs folgt in der Regel eine Biopsie. Danach stellt sich oft heraus, dass ein Mann überhaupt keinen Prostatakrebs hat. 

Außerdem finden Ärztinnen und Ärzte viele „harmlose“, wenig aggressive und langsam wachsende Tumoren, die Männern zu Lebzeiten nicht gefährlich geworden wären. Die Kritikpunkte vieler Expertinnen und Experten: Unter dem Strich gibt es (zu) viele Überdiagnosen, auf die wiederum Übertherapien folgen. Ihre Forderung lautet daher, die Prostatakrebsfrüherkennung auf andere Beine zu stellen.

Früherkennung

Schwedische Forschende entwickelten eine neue Strategie, um Prostatakrebs frühzeitig auf die Spur zu kommen – und so funktioniert sie!

Mann liegt im MRT
Walter/Adobe Stock

Wie funktioniert der Stockholm-3-Test?

Der STHLM3-Test ist – wie der PSA-Test – ein Bluttest. Das bedeutet, dass Männer nur eine Blutprobe abgeben müssen, die Fachleute anschließend im Labor analysieren. Der Test arbeitet mit einem neu entwickelten Algorithmus, der verschiedene Informationen miteinander kombiniert: 

  • Fünf Blutweiße – PSA (prostataspezifisches Antigen), freies PSA, hK2 (Human Glandular Kallikrein 2), MSMB (Microseminoprotein, das mit erblichem Prostatakrebs zusammenhängt) und  MIC1 (Macrophage Inhibitory Cytokine-1)
  • Genetische Marker – mehr als 100 verschiedene genetische Varianten
  • Persönliche Daten – dazu gehören zum Beispiel das Alter, ein familiäres Risiko für Prostatakrebs (er kann erblich bedingt sein), frühere Biopsien oder die Prostatagröße

Das Ergebnis des Tests ist ein Risiko-Score: Diesem zufolge hat ein Mann ein niedriges, normales oder erhöhtes Risiko für Prostatakrebs.

Wann soll der STHLM3-Test zum Einsatz kommen?

Ziel des Stockholm-3-Tests ist es, aggressive Prostatakarzinome (Gleason-Score ≥ 7) in einem möglichst frühen Stadium aufzuspüren. Bei den meisten Männern ist die Früherkennung der Schlüssel, um einen Prostatakrebs erfolgreich zu behandeln und mit hoher Wahrscheinlichkeit heilen zu können. 

Der Stockholm-3-Test solle zusätzlich zu einem PSA-Test zum Einsatz kommen, sagen die Entwickler. Liegt der PSA-Wert über  1,5 ng/ml, kann das Labor die gleiche Blutprobe nochmals analysieren. Der Test sei auch einsetzbar, wenn normalerweise bei einem Mann aufgrund des Ergebnisses eine Magnetresonanztomografie (MRT) erfolgen würde, so die Forschenden.

Getestet wurde in Studien auch, ob der STHLM3-Test im Rahmen eines allgemeinen Screenings auf Prostatakrebs (einer Reihenuntersuchung an gesunden Männern) sinnvoll sein könnte – mit diesen Ergebnissen:

  • In Kombination mit der MRT reduziere sich die Anzahl der unnötigen Biopsien im Vergleich zum PSA-Test um 76 Prozent
  • Insgesamt verminderte sich die Zahl der MRT-Untersuchungen um 60 Prozent.
  • Die Zahl der Überdiagnosen nahm um 39 Prozent ab.

Daher sei der Einsatz des Tests auch im Rahmen eines Prostatakrebs-Screenings möglich, lautet das Fazit der Forschenden. 

Wie zuverlässig ist der Stockholm-3-Test?

Wie gut der Stockholm-3-Test ist, wurde in einer großen klinischen Studie namens „STHLM3“ überprüft, an der zwischen 2012 und 2015 fast 60.000 Männer teilgenommen hatten. Etwa 20.000 weitere Männer durchliefen zusätzliche Studien. Die Ergebnisse wurden in verschiedenen Fachmagazinen veröffentlicht (The Lancet Oncology, Nature Reviews, Clinical Oncology und European Urology). 

Laut dieser Studien findet der Stockholm-3-Test Prostatakarzinome zuverlässig. Außerdem soll er zwischen aggressiven und weniger gefährlichen Tumoren unterscheiden können. Das Entwicklerteam schreibt, dass der Test 100 Prozent mehr aggressive Tumoren in der Prostata aufspüren könne als der PSA-Test. So könnten Ärztinnen und Ärzte den Prostatakrebs in einem früheren Stadium diagnostizieren und rechtzeitig behandeln. 

Ein Problem des PSA-Tests ist, dass er einen hohen Prozentsatz (schätzungsweise 30 bis 50 Prozent) der aggressiven Prostatakarzinome „übersieht“. Seine Sensitivität – die Fähigkeit eines Tests, Kranke als krank zu identifizieren – ist gerade bei sehr gefährlichen Prostatatumoren gering. 

Darüber hinaus ist die Spezifität des PSA-Tests relativ niedrig – er ist zu ungenau. Etwa 25 Prozent seien falsch-positive Befunde, schreibt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Der Test hat dann falschen Alarm geschlagen und ein Mann ist überhaupt nicht an Prostatakrebs erkrankt. Vielmehr steckt hinter dem erhöhten PSA-Wert eine andere Ursache, zum Beispiel eine gutartige Prostatavergrößerung, Prostataentzündung, vorheriger Sex oder Radfahren vor der Blutentnahme.

Weil der PSA-Test kaum zwischen aggressivem und harmlosem Prostatakrebs unterscheiden kann, müssten sich viele Männer unnötigen Prostatabiopsien unterziehen. Sie sind unangenehm und besitzen einige Risiken und Nebenwirkungen. Beispiele: Schmerzen, Blut im Urin und Stuhl, Infektionen und – im schlimmsten Fall – eine Blutvergiftung (Sepsis). Das schwedische Forscherteam kam in seinen Studien zu dem Schluss, dass der Stockholm-3-Test die Gefahr überflüssiger Biopsien um etwa 50 Prozent reduzieren kann. 

Ein drittes Manko beim PSA-Test ist, dass die Ergebnisse nicht ganz leicht zu interpretieren sind. Ärzte und Ärztinnen brauchen einige Erfahrung mit den PSA-Werten, um einzuordnen, was sie individuell für einen Mann bedeuten können. Sie ziehen immer noch andere Faktoren mit heran, zum Beispiel das Alter, bestehende Krankheiten oder die Familiengeschichte (Krebserkrankungen in der Familie). Der Stockholm-3-Test solle dagegen eine Antwort liefern, aus der sich eine klare und eindeutige Empfehlung für das weitere Vorgehen ableiten lasse, so die Forschenden. Die Entscheidung, ob und welche weiteren Diagnosemethoden nötig sind, sollen Ärztinnen und Ärzte somit leichter treffen können.  

IProstata Hilfe Deutschland: Portraitfoto - Dr. Schiefelbeinnterview mit unserem Experten für Prostatakrebs

Dr. Frank Schiefelbein, Urologe und Chefarzt an der KWM Missioklinik, Würzburg

 

Herr Dr. Schiefelbein, wie schätzen Sie den Stockholm-3-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs ein? 

Zunächst einmal muss man sagen, dass der Stockholm-3-Test nicht der einzige Test ist, der zum Ziel hat, das individuelle Risiko für Prostatakrebs genauer abzuschätzen – in den USA sind ähnliche Tests verfügbar. Dieser Bluttest zieht zum PSA-Wert weitere Laborparameter hinzu. Dazu gehören unter anderem auch genetische Faktoren. Daraus berechnet er einen Score, der die individuelle Risikoabschätzung verbessern kann.

Wie aussagekräftig ist der Test aus Ihrer Sicht?

Der Stockholm-3-Test besitzt – wie andere Tests auch – keine 100-prozentige Aussagekraft. Das gibt es in der Medizin nicht. Allerdings meine ich, dass der Test in die richtige Richtung geht. Wir Urologen favorisieren in Deutschland den risikoangepassten PSA-Test. Hier fließen neben dem PSA-Wert noch weitere Parameter in die Risikoabschätzung mit ein, zum Beispiel die PSA-Anstiegsentwicklung oder ob ein Prostatakrebs oder Brustkrebs in der Familie vorkommt – also genetische Einflüsse. 

Könnte der Stockholm-3-Test bald auch ein Angebot für Männer in Deutschland sein?

Hierzulande konnte sich der Test bisher noch nicht durchsetzen. Die Leitlinien zu Prostatakrebs empfehlen derzeit den PSA Test zur Früherkennung. Dazu kommen im Verdachtsfall ein transrektaler Ultraschall sowie ein MRT mit der PIRADS Klassifikation – ein System, mit dem wir die MRT-Bilder bewerten können. Und daraus leiten wir wiederum die Notwendigkeit für eine Fusionsbiopsie ab, bei der wir die MRT – und Ultraschallbilder im Rechner zusammenfügen. Sie stehen damit für eine zielgenaue Gewebeprobenentnahme zur Verfügung.

Werden die  Krankenkassen zukünftig die Kosten für diesen Test übernehmen?

Da habe ich im Moment wenig Hoffnung. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie konnte nicht einmal den PSA-Test als Kassenleistung durchsetzen. Und mit einem weitaus teureren Test wäre dies noch unwahrscheinlicher. Der Stockholm-3-Test  wird deshalb vermutlich Männern vorbehalten bleiben, die bereit sind, die Kosten dafür selbst zu tragen. Der Test wird von einem Unternehmen in Schweden  kommerziell angeboten.

Was bedeutet das Ergebnis des Stockholm-3-Tests?

Das Ergebnis des STHLM3-Test ist den Forschenden zufolge klar und einfach zu interpretieren. Es gibt nur die Möglichkeit, dass das Testergebnis negativ oder positiv ist. Doch was bedeutet das genau?

  • Negatives Ergebnis: Ein Mann hat ein niedriges beziehungsweise normales Risiko, Prostatakrebs zu entwickeln. Empfohlen ist ein erneuter Test nach sechs beziehungsweise nach zwei Jahren. Ungefähr die Hälfte der Männer zwischen 50 und 70 Jahren besitzt dem Entwicklerteam zufolge ein niedriges Risikoprofil. 
  • Positives Ergebnis: Das Risiko für ein Prostatakarzinom ist erhöht. Männer sollten das Ergebnis weiter bei einem  Urologen oder einer Urologin abklären lassen. Es sollten noch weitere Untersuchungen folgen, um nach einem bösartigen Tumor zu fahnden.  

Allgemein gilt: 

  • Wie auch beim PSA-Test sollten sich Männer vorab gut über die Vorteile und möglichen negativen Konsequenzen durch den Stockholm-3-Test informieren (lassen).
  • Männer sollten das Ergebnis des Stockholm-3-Tests immer ausführlich mit einem Arzt oder einer Ärztin besprechen, um die nächsten Schritte zu überlegen.

 

Risikoanalyse in den Genen

Ein neues Diagnose-Werkzeug, das die Gene und Familiengeschichte berücksichtigt, findet Männer mit einem erhöhten Risiko für Prostatakrebs.

Illustration der DNA
Thor Deichman/Pixabay

Für welche Männer eignet sich der Stockholm-3-Test?

Das Risiko für Prostatakrebs steigt mit dem Alter. Die zunehmenden Lebensjahre sind der Risikofaktor Nummer 1 für diese Krebsart. Die schwedischen Forschenden empfehlen den Stockholm-3-Test für Männer, die:

  •  zwischen 45 und 74 Jahre alt sind
  • noch nicht an Prostatakrebs erkrankt sind
  • einen PSA-Wert von mindestens 1,5 ng/ml (Nanogramm pro Milliliter) haben

Nicht geeignet oder empfohlen ist der Test nach dem jetzigen Kenntnisstand in diesen Fällen:

  • Für Männer, die schon die Diagnose Prostatakrebs erhalten haben – hier besitzt der Test keine zusätzlichen Vorteile. 
  • Ob Männer davon profitieren, die sich kürzlich einer Untersuchung und Biopsie bei einem Urologen oder einer Urologin unterzogen haben, ist noch unklar.  
  • Der Stockholm-3-Test wurde nicht an Männern überprüft, die jünger als 50 Jahre oder älter als 70 Jahre sind. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass es von Vorteil sei, den Prostatakrebs bei Männern über 75 Jahren in einem Frühstadium zu diagnostizieren, sagen die Forschenden. 

 

Stockholm-3-Test: Kosten und bezahlt ihn die Krankenkasse?

Der Stockholm-3-Test ist kein Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen. Daher übernehmen sie die Kosten für den Test auch nicht. Männer müssen ihn also – wie den PSA-Test – selbst bezahlen. Die Kosten belaufen sich nach Angaben des Herstellers auf rund 400 Euro (ca. £350) für die reine Analyse des Bluts. Dazu kommen noch weitere Kosten, etwa für die Blutabnahme in der Arztpraxis, den Transport der Blutprobe ins Labor oder das anschließende Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin. 

Zum Vergleich: Der PSA-Test kostet ungefähr 50 Euro, inklusive der Laboranalyse und des Gesprächs mit dem Arzt oder der Ärztin. Der Stockholm-3-Test ist also um einiges teurer als der PSA-Test. 

Das schwedische Forscherteam geht davon aus, dass der Test letztlich Kosten einzusparen hilft. Dies leitet es aus den Erfahrungen in anderen Ländern ab, in denen der Test schon zum Einsatz kommt. Es entfielen unnötige Magnetresonanztomografien (MRT), Biopsien und Behandlungen – auch diese sind teuer fürs Gesundheitssystem.

 

Quellen: