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Prostatakrebsfrüherkennung 2.0: „Müssen die zehn Prozent gefährdete Männer erkennen“
13. Oktober 2023 | von Ingrid MüllerDie Früherkennung von Prostatakrebs soll hierzulande jetzt auf neue Beine gestellt werden. Wir sprachen mit dem Urologen Dr. Frank Schiefelbein über das neue Konzept und wie es funktionieren soll.
Herr Dr. Schiefelbein, bei der Prostatakrebsfrüherkennung bewegt sich endlich etwas in Deutschland. Wie kommt es?
Die Deutsche Gesellschaft für Urologie hat einen erneuten Anlauf genommen, um zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium und dem Gemeinsamen Bundesausschuss einen Algorithmus zur Früherkennung von Prostatakrebs zu entwickeln. Unser Ziel sind Männer zwischen 50 und 65 Jahren. Der Anlass dafür ist eine neue Empfehlung der Europäischen Kommission. Sie forderte schon im Jahr 2022, dass das Screening-Programm zur Früherkennung von Prostatakrebs in Deutschland verbessert werden muss. Leider sind wir hierzulande bei der Früherkennung auf dem Stand von 1971. Sie beruht alleine auf dem Tastbefund der Prostata.
Ein risikoadaptiertes PSA-Screening soll kommen. Was sind die Kernpunkte?
Ein wesentlicher Baustein ist, dass Männer ein Anrecht auf eine Beratung zum Thema Prostatakrebsfrüherkennung haben. Wir möchten Männer gut über alle Vor- und Nachteile informieren, die eine Krebsfrüherkennung eventuell mit sich bringt. Danach bestimmen wir den PSA-Wert strukturiert.
Was können Sie aus dem PSA-Wert beim Screening ablesen?
Er sagt uns Verschiedenes. Einerseits können wir aufgrund seiner Höhe Aussagen über das zukünftige Kontrollintervall machen, und andererseits über das Risiko, das vielleicht ein Prostatakarzinom vorliegt. Wenn der PSA-Wert im Alter von 50 Jahren unter einem Nanogramm pro Milliliter liegt, genügt es, den ihn erst in fünf Jahren wieder zu messen. Anders ist es, wenn der Ausgangswert des PSA zwischen ein und drei Nanogramm pro Milliliter beträgt. Dann sollten Männer ihren PSA in zwei bis vier Jahren wieder kontrollieren lassen.
Bei einem PSA-Wert von mehr als drei Nanogramm pro Milliliter, kalkulieren wir das persönliche Prostatakrebsrisiko eines Mannes. Wir nehmen also eine Risikoabschätzung vor. Dafür brauchen wir auch den transrektalen Ultraschall, mit dem wir das genaue Volumen der Prostata ermitteln.
Und wie geht es dann weiter?
Tritt dabei ein hohes Risiko zu Tage, schlagen wir eine multiparametrische Magnetresonanztomografie vor, die mpMRT. Wenn wir aufgrund der MRT-Bilder einen Prostatakrebs vermuten, führen wir eine Fusionsbiopsie durch. Wir entnehmen dabei Gewebe aus der Prostata. Und auf der Basis dieses Gewebebefunds beraten wir anschließend das weitere Vorgehen.
Das Vorgehen im Kurzüberblick:
(*PIRADS = Klassifikationssystem für die Wahrscheinlichkeit von Prostatakrebs) |
Welchen Männern hilft ein PSA-Screening denn besonders?
Wir wissen, dass eine positive Familienanamnese – also mehrere Prostatakrebsfälle in der Familie – ein gesicherter Risikofaktor für Prostatakrebs ist. Und wir wissen, dass der erste ermittelte PSA-Wert im Alter von 50 Jahren eine hohe Aussagekraft für das potentielle Risiko besitzt, ob ein Mann an Prostatakrebs erkranken könnte.
Bekannt ist auch, dass etwa zehn Prozent der Männer ein erhöhtes Erkrankungsrisiko haben. Sie profitieren von einer frühen Diagnose und einer frühzeitigen Therapie. Und genau diese zehn Prozent der Männer rechtzeitig zu erkennen, das ist das Ziel! Wir gehen davon aus, dass sich mit diesem organisierten Screening die Rate an schweren Erkrankungs- und Todesfällen senken lässt. Immerhin 90 Prozent der Männer brauchen gar kein engmaschiges Screening.
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich jetzt für ein Screening mit dem Tumormarker PSA ausgesprochen. Es lägen jetzt genügend Daten vor. Aber: Die Kritikpunkte des IQWIG, ein PSA Screening führe zu vielen falsch-positiven Befunden, Überdiagnosen und Übertherapien haben sich doch nicht geändert.
Der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat eben jetzt erkannt, dass die Kritik der Europäischen Kommission an der jetzigen Prostatakrebsfrüherkennung in Deutschland wirklich berechtigt ist. Die alleinige Tastuntersuchung ist viel zu ungenau. Sie hat bei weitem nicht das Potenzial des PSA-Wertes und der MRT.
Das IQWIG hat sich in seiner Bewertung aus dem Jahr 2020 im Wesentlichen auf die sogenannte PCLO-Studie bezogen, die allerdings fehlerhaft angelegt war. Ein nicht standardisiertes, ungeordnetes PSA-Screening, wo jeder Mann sich selbst überlassen bleibt, ist einem organisierten Algorithmus doch eindeutig unterlegen. Mittlerweile gibt es genügend nationale und internationale Studien, die eine strukturierte, PSA-basierte Früherkennung favorisieren.
PSA-Werte richtig lesen Erfahren Sie, was PSA-Dichte, PSA-Anstiegsgeschwindigkeit und PSA-Verdoppelungszeit sind! |
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Hat die Tastuntersuchung dann endgültig ausgedient? Ihr wurde ja zuletzt ein ziemliches Versagen bei der Erkennung von Prostatakrebs bescheinigt. Gerade kleinere Tumoren ließen sich nicht ertasten.
Der alleinige Tastbefund genügt auf jeden Fall nicht, um Prostatakrebs zu erkennen. Die Tastuntersuchung kann die Erkrankung nicht zuverlässig in einem frühen Stadium feststellen. Im Zusammenhang mit den anderen Untersuchungen spielt der Tastbefund aber weiterhin eine Rolle. Ganz verzichten können wir darauf nicht.
Warum wurde denn so lange an der Tastuntersuchung als alleinige Früherkennungsmethode für Männer festgehalten? Die gesetzlichen Krankenkassen tragen die Kosten nur für diese Untersuchung. Bei Frauen gibt es dagegen schon länger bildgebende Verfahren wie die Mammografie.
Es gab zwei große Studien dazu: Die ERSPC-Studie in Europa und die – fehlerhaft angelegte – PCLO-Studie in den USA. Beide hatten völlig gegensätzliche Ergebnisse geliefert. Die US-Taskforce sprach sich daraufhin gegen ein PSA-basiertes Screening aus. Und das hatte leider einige schwerwiegende Folgen für die Männer: Ärzte in den US diagnostizierten anschließend 40 Prozent mehr Prostatakarzinome, bei denen sich schon Metastasen gebildet hatten. Erst daraufhin wurde diese Empfehlung wieder korrigiert.
International wurden in den letzten Jahren mehrere Studien aufgelegt. Sie bezogen den Basis-PSA-Wert, individuellen PSA-Verlauf und das familiäre Prostatakrebsrisikos mit ein. Außerdem wurden Risikokalkulatoren erstellt, die uns bei der Risikoabschätzung helfen. Zwei Studien, die seit 2017 veröffentlicht wurden, belegen, dass das mpMRT als Bildgebungsprogramm die Anzahl notwendiger Biopsien verringern kann. Wenn wir den hochauflösenden transrektalen Ultraschall in die Fusionsbiopsie einbeziehen, lässt sich die Diagnostik erheblich verbessern. Manche Erkenntnisse brauchen in der Medizin leider lang – und sind auch von Rückschlägen gezeichnet.
Früherkennung von Prostatakrebs personalisieren |
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Wann wird das risikoangepasste PSA Screening in Deutschland kommen?
Ich kann leider nicht vorhersagen, wann der Vorschlag wirklich umgesetzt wird. Ganz sicher ist es keine Lösung, auf jegliches PSA-Screening zu verzichten, wie wir es derzeit in Deutschland praktizieren – und einfach auf dem Niveau von 1971 weiterzumachen. Ich denke, dass die Politik die Forderung der Europäischen Kommission und den ausgearbeiteten Vorschlag der Deutschen Gesellschaft für Urologie aufgreifen und ihm entsprechen sollte.
Wie soll denn die neue Früherkennung funktionieren, zum Beispiel per Einladung wie beim Mammografie-Screening?
Wie das Früherkennungsprogramm schließlich durchgeführt wird, ist noch nicht genau definiert. Sicher ist jedenfalls, dass die Teilnahme für Männer freiwillig ist.
Was ist mit Männern, die schon älter als 45 bis 50 sind? In diesem Alter soll ja der PSA als erstmaliger Ausgangswert bestimmt werden.
Männer, die älter als 50 Jahre sind und bei denen noch kein PSA-Wert bestimmt wurde, können ihn aktuell bestimmen lassen. Die Aussagekraft des PSA liegt in seinem Basiswert, zum Beispiel ab 50 Jahren, sowie in seiner Entwicklung, der Anstiegsgeschwindigkeit. Je nach Höhe des PSA folgen dann vielleicht weitere Untersuchungen – im Sinne des vorgeschlagenen Algorithmus.
Das Interview führte Ingrid Müller.